Gigahertz-Preis 2008

für SWR2 JetztMusik-Magazin 05.12.2008, 23:05h

Autor Michael Iber

Zuspiel 1
Musik ca. 10 s frei, dann unterlegen

Ake Parmerud: „La Vie Mécanique“

Zuspiel 2
O-Ton Brümmer
0:24

Der Preis soll Impulse setzen, also die Aufmerksamkeit auf diese besondere Form der Klanglichkeit, diese besondere Form der Interaktion zwischen Technologie und Mensch setzen. Er soll die Qualität der Arbeiten akzentuieren, damit auch ein Bewusstsein für diese Qualität hier in Deutschland sich entwickelt.

Autor

Seit letztem Jahr lobt das Institut für Musik und Akustik am ZKM in Karlsruhe gemeinsam mit dem Freiburger Experimentalstudio des SWR den Gigahertz-Preis aus. Neben der Würdigung des Lebenswerkes eines Komponisten vergibt eine international besetzte Jury Produktionspreise für vier Komponisten, die im kommenden Jahr die Möglichkeit haben, an einer der beiden Institutionen ein neues Stück zu realisieren. Ludger Brümmer, Leiter des Instituts für Musik und Akustik:

Zuspiel 3

O-Ton Brümmer

0:13

Dieses ist der 2. Gigahertz-Preis, den wir gemeinsam mit dem Experimentalstudio hier ausrichten. Und, ich denke, 170 Einreichungen zeigen deutlich, dass die Akzeptanz des Preises sehr groß ist.

Autor

Alle vier Produktionspreisträger haben Komposition an einer Musikhochschule studiert. Angesichts der kreativen nicht-akademischen Electronica mit Musikern, die oft in der Bildenden oder Medienkunst verwurzelt sind, ist das längst nicht mehr selbstverständlich. Allerdings ist dieses biographische Detail das einzige verbinde Merkmal der vier Komponisten, deren Altersunterschied eine ganze Generation umfasst. Entsprechend groß ist auch die stilistische Bandbreite der im Preisträgerkonzert vorgestellten Kompositionen. Dabei stammen die kühneren Ansätze keineswegs von der jüngeren Generation. Da ist zum einen die Komposition „Kongsberg Silver Mines“ der Britin Natasha Barrett, die das Publikum an hyperrealistische Orte unter Tage führt. Ganz anders der verspielte Dai Fujikura aus Osaka. Er lässt sich auf ein Experiment mit Video ein, um einen inneren Konflikt mit einer „imaginären Filmcrew“ zu lösen, die ihm am Komponieren hindert. Entsprach das Stück des Portugiesen Joao Pedro Oliveira am ehesten gängigen Konventionen, so standen dem in der Komposition „La Vie Mécanique“ des Schweden Ake Parmerud kaleidoskopische Stiltransformationen zwischen stereotypen elektroakustischen Klängen und Techno gegenüber.

Musik
noch ca. 30 s freistehend

 

Autor

Der Name des Gigahertz-Preises geht auf den Physiker Heinrich Hertz zurück, dem 1886 während seiner Tätigkeit an der Technischen Hochschule in Karlsruhe der Nachweis elektromagnetischer Wellen gelang. 50 Jahre später wurde nach ihm die Einheit für die Frequenz, also die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde benannt. Diese ist in der Musik von ebenso großer Bedeutung wie in der Computerwelt. Peter Weibel, Vorstand des ZKM:

Zuspiel 4
O-Ton Weibel

0:25

Nachdem jeder Computer im Puls von Gigahertz taktet, ist es nahegelegen, zu sagen: Wir im ZKM in Karlsruhe gründen eben den Gigahertz-Preis zur Unterstützung und Förderung computergestützter akusmatischer Musik.

Autor

Unter „akusmatischer Musik“ versteht man Musik, die ausschließlich über Lautsprecher wiedergegeben wird. Geprägt hat diesen Begriff in den 70er Jahren der französische Komponist Francois Bayle, der in diesem Jahr auch Mitglied der Jury des Gigahertz-Preises war. Berühmte Urväter dieses Genres waren der Erfinder der „musique concrete“, der ebenfalls in Frankreich beheimatete Pierre Schaeffer, oder Karlheinz Stockhausen. Der akusmatischen Musik steht die sogenannte „Live-Elektronik“ gegenüber – die Domäne des Freiburger Experimentalstudios. Der entscheidende Unterschied zur akusmatischen Musik ist, dass –wie der Name schon sagt –elektronische Klänge live im Konzertsaal erzeugt werden, oft als „Erweiterung“ eines traditionellen Instrumentes. Auch in diesem Bereich spielt Stockhausen eine wegweisende Rolle und seine Komposition „Mantra“ für zwei Klaviere und Rindmodulator steht in engem Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte des Experimentalstudios. Der Übergang zwischen diesen beiden Genres ist fließend. Und so ist es naheliegend, mit dem Gigahertz-Preis das gesamte Spektrum computer-basierter Musik abzudecken. Ludger Brümmer:

Zuspiel 5

O-Ton Brümmer

1:00

In den letzten 20, 30 Jahren wurde die Elektronik nicht nur massiv ausgebremst, sondern massiv ausgegrenzt aus dem musikalischen Leben. Da ist die Frage und da ist auch die berechtigte Forderung, dass diese Möglichkeiten, die jetzt natürlich auf anderem Felde liegen, zum Beispiel Interface-Entwicklung oder Raummusik... 1970 hat zwar Stockhausen das Kugelauditorium schon installiert, aber das hat man ein halbes Jahr später abgerissen. Also wo bleibt die wirklich Innovation für den Alltag, für das Konzert, für die musikalische Erfahrung. Damals waren diese Dinge laboratorisch singuläre Ereignisse und waren auch an bestimmten wenigen Orten präsent und ich denke jetzt ist die Zeit, wo diese Erfahrung zum Allgemeingut werden soll, aber genauso zu einem Instrumentarium entwickelt werden sollen wie das Orchesterinstrumentarium.

Zuspiel 6
Musik ca. 10 s freistehend, dann unterlegen

Trevor Wishart: „Imago“

Autor

Der mit 15.000 Euro dotierte Hauptpreis wird aufgrund von Vorschlägen der Jurymitglieder in geheimer Wahl ermittelt. In diesem Jahr ging er an den 1946 in Leeds geborenen Komponisten Trevor Wishart. Bereits in den 70er Jahren engagiert sich Wishart sozial und arbeitet an musikalischen Spielformen, die inzwischen zum Standard der Musikerziehung gehören. „Jeder kann Musik machen, jeder Gegenstand und jeder Ort ist dafür geeignet“, könnte man die Devise Wisharts zusammen fassen. So ist es nur konsequent, dass er bei der Markteinführung der ersten Heimcomputer Anfang der 80er Jahre die Gelegenheit beim Schopfe packt und die elektronische Musik aus dem elitären Umfeld der großen Studios befreit. Mit dem „Composers Desktop Project“ initiiert er eine Arbeitsgruppe von Komponisten und Programmierern um elektronische Kompositionswerkzeuge für jedermann zu schaffen. Neben vielen anderen Entwicklungen ist vor allem seine Erfindung des spektralen Morphings, das heisst: die Verschmelzung zweier Klänge miteinander, bahnbrechend für die elektronische Musik.

Seine akusmatische Komposition „Imago“ aus dem Jahre 2003 entfaltet sich aus einer winzigen klanglichen Urquelle: dem Anstoßen zweier Whiskey-Gläser.

Musik

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