Konzertwelten der Neuen Musik

für WDR3open-Magazin am 28.09.2008

Autor: Michael Iber

 

 

O-Ton Kowal-Wolk: Also die musica viva ist ja eine Konzertreihe. Was bedeutet, dass wir eigentlich einen ganz guten Abonnentenstamm haben, und die Konzerte auch immer gut gefüllt sind. Aber eine überregionale Presse war natürlich eigentlich nicht zu erwarten, weil die zu einer Veranstaltung nicht anreisen. ... Aber um dann mal ein größeres Publikum und auch eine größere Wahrnehmung zu erreichen, war eben die Idee ..., auch mal ein Festival zu initiieren.

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Als Redakteurin des Bayerischen Rundfunks ist Larissa Kowal-Wolk für die inhaltliche Darstellung der musica viva in München verantwortlich. Was sie beschreibt, könnte man die „Klimax“ musikalischer Veranstaltungsstrategien nennen, die angefangen beim einzelnen Konzert über Abonnementreihen hin zum Festival versuchen, Kräfte und Gelder zu bündeln, die dann auf eine erweiterte Hörerschaft abstrahlen können. Vor diesem Hintergrund sieht auch ihr Kollege Armin Köhler vom Südwestrundfunk das Konglomerat aus Stuttgarter Staatsoper, der Akademie Schloss Solitude, der Musik der Jahrhunderte und dem SWR, das sich seit letztem Jahr zum Festival „Der Sommer in Stuttgart“ gebildet hat:

 

O-Ton Köhler: Das ist der Tatsache geschuldet, dass unsere Gesellschaft eine Event-Gesellschaft ist und die Kollegen in Stuttgart die Erfahrung machen mussten, mit punktuellen Konzertereignissen kein Publikum mehr anzulocken, da kommen etwa 50, 60, auch mal 150 Leute, aber mehr ist nicht drin. Wenn man aber diese einzelnen Ereignisse sammelt in einem Festival, und sei es im Sommer, funktioniert das ganz anders, die Säle sind gefüllt und es kommen bis zu 1200 Gäste.

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Kooperationen der Festivals untereinander und mit weiteren Partnern helfen bei der Realisation aufwendiger Projekte genauso wie bei der Antragstellung von Fördergeldern. Und mit dem Netzwerk Neue Musik hat die Bündelung von Kräften einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: Bis 2012 unterstützt die Kulturstiftung des Bundes mit einer Gesamtsumme von 12 Millionen Euro 15 regionale Netzwerke. Diese bestehen aus Ensembles, Veranstaltern, Universitäten und anderen Institutionen aus dem Umfeld der Neuen Musik und haben laut Ausschreibung zum Ziel, „der Neuen Musik zu dem Stellenwert im Musikleben und im kulturellen Bewusstsein unserer Gesellschaft zu verhelfen, der ihrem kreativen, kritischen und innovativem Potential entspricht“. Nicht die zeitgenössische Musik selbst steht also im Mittelpunkt dieses Projektes, sondern ihre Vermittlung an eine breitere Öffentlichkeit.

 

O-Ton Köhler: Man darf allerdings die Gefahr nicht übersehen, dass sich hier Vermittlung verselbständigt und dass Kunstförderung als solche, denn Kunstförderung sind auch die Interpreten, sind die Konzertagenten, sind die Konzertveranstalter selbst, dass das nicht auf der Strecke bleibt vor lauter Vermittlung. Denn, was will man denn am Ende vermitteln, wenn es am Ende gar keine Kunst mehr gibt, weil sie stirbt, weil sie keinen finanziellen Boden mehr hat.

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Trotz solch motivierender Finanzspritzen spürt man in den etablierteren Gefilden der Neuen Musik einen deutlichen Erfolgsdruck, der vorwiegend auf zwei außermusikalischen Parametern beruht: Quote und Presse sind zu entscheidenden Gesichtspunkten geworden. Und die Veranstalter sehen sich gedrängt, ihr Tun durch entsprechende Auslastungszahlen zu rechtfertigen. Das war nicht immer so. Und dass das nicht immer so war, haben wir – so makaber es klingen mag - letztendlich den beiden Gleichschaltungsgesetzen der Nationalsozialisten zu verdanken. Mit der Abschaffung der Souveränität der Länder und mit einer bis dahin unvergleichlichen Vereinnahmung von Kultur für propagandistische Zwecke lieferten sie das Gegenmodell zum freiheitlichen Rechtsstaat. Und so hielten die westlichen Alliierten den Wiederaufbau einer föderalistischen Struktur und einer politisch entkoppelten Kultur- und Rundfunklandschaft für unabdinglich bei der Entnazifierung und Demokratisierung Deutschlands. Ein Glücksfall für die Entwicklung der Neuen Musik.

 

Denn schon vor der Machtergreifung Hitlers war der Zustand des deutschen Konzertwesens nicht unbedingt zukunftsträchtig. Kurt Weill beschreibt die Berliner Konzertkultur der zwanziger Jahren als eine rein kommerzielle, „in welcher Kompositionen und ihre Interpreten wie Waren nur danach bemessen würden, ob sie hoch oder niedrig im Kurs stünden.“ Keineswegs eine rosige Aussicht also für experimentierfreudige Komponisten.

 

Das unvergleichliche Erfolgsmodell der Neuen Musik in den 50er und 60er Jahren beruhte in erster Linie auf der sogenannten Reeducation: Die amerikanische Regierung war der festen Überzeugung, dass abstrakte Kunst und somit auch avantgardistische Musik unverzichtbar für die Entwicklung demokratischen Denkens sei. Und so konnten mit der finanziellen Unterstützung der USA bereits kurz nach dem Krieg die musica viva oder die Darmstädter Ferienkurse entstehen.

 

Die bereits zur Besatzungszeit entwickelten Strukturen setzten also auf Vielseitigkeit und Abstraktion. Natürlich waren sie nicht unabhängig von wirtschaftlichen Gesichtspunkten, an Geld fehlt es immer. Sie waren jedoch frei von äußerlichen Rechtfertigungszwängen. Und das macht die Ausgangsposition der Neuen Musik nach dem Krieg so speziell.

 

Heute ist diese Vielseitigkeit tatsächlich bedroht: Die strukturellen Verdichtungen der Neue Musik-Szene laufen mit ihrer Tendenz zur Monopolisierung Gefahr, kreativen Nischenentwicklungen das Wasser abzugraben. Klar ist es effektiv, wenn sich die Starken zusammen schließen und so über hinreichend große Budgets verfügen, die hochkarätige Veranstaltungen erlauben. Doch zeigt ein Blick auf die Wirtschaft, dass Monopol und Kreativität sich nahezu ausschließen. Für neue Strömungen und Entwicklungen abseits des Main Streams wird da der Platz eng.

 

Eine der kreativeren Musik-Szenen jüngerer Zeit entstand Mitte der 90er Jahre in Berlin. Ein Blick auf die Website echtzeitmusik.de vermittelt einen Eindruck dessen, was sich als „Untergrund der improvisierten und experimentellen Neuen Musik“ versteht. Ein zweiter Blick gibt dann allerdings Aufschluss über die Kurzlebigkeit der einzelnen Projekte: die meisten sind inzwischen aus finanziellen Gründen eingegangen. Eines aber hat es zu regelmäßigen Förderungen und sogar ins Netzwerk Neue Musik gebracht: Das „Ausland“, das mit seinem Neue Musik-Strang „Biegungen“ allein zwischen 2003 und 2006 sage und schreibe 111 Konzerte veranstaltete. Konzerte freilich, in denen den Musikern lediglich der Eintrittserlös als Gage zukam. Mit der Beteiligung am Berliner Netzwerk, dem unter anderem auch das Konzerthaus und das Kammerensemble Neue Musik angehören, haben sich auch die Rahmenbedingungen für die von Gregor Hotz programmierte Konzertreihe geändert:

 

O-Ton Hotz: Für die Biegungen hat das einfach verändert, dass es a) eine feste Finanzierung gibt, und b) war es eine ziemliche Umstellung einfach dadurch, dass es jetzt viel weniger spontan ist, das ganze Booking. ... Es gibt einfach viel weniger Biegungen, das kann man erst mal feststellen. Weil mir war dann ein gewisser finanzieller Rahmen gesteckt durch diese Förderung, der ist aber auch nicht so hoch.... Dann habe ich einfach gesagt, ok, ich mache mit diesem finanziellen Rahmen eine gewisse Anzahl Konzerte. Das ist dann bei 7 Konzerten rausgekommen für dieses Jahr. Ich musste das irgendwie so machen für mein Gefühl, weil ich keine Lust drauf hatte, Biegungen zu machen, die auf dem Eintrittsdeal laufen und andererseits dann eine Biegung, die über die Bundeskulturstiftung bezahlt ist, weil ich das Gefühl habe, das sorgt irgendwann für schlechte Stimmung unter den Musikern.

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