Die kurze Geschichte der Neuen Komponisten Gesellschaft

anläßlich ihres sechsjährigen Bestehens und ihrer Auflösung

 

  • Die Gründung

Am 9. November 1990 gründeten die Komponisten Michel Ackermann, Stefan Bartling, Dietrich Eichmann, Uwe Kremp, Jörg Mainka, Wolfgang von Stürmer und Markus Trunk die Neue Komponisten Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Im Unterschied zu beispielsweise dem Verein musikalischer Privataufführungen Schönbergs, der aufgeschlossenen Hörern Zugang zu neuer Musik eröffnen sollte, war das Ziel der NKGler vielmehr darauf ausgerichtet, durch die Organisiertheit sich Möglichkeiten zur Aufführung eigener Stücke unabhängig von anderen Institutionen zu schaffen.
 

  • Das Umfeld

Sowohl in den Bildenden Künsten wie auch in der Neuen Musik entwickelte sich seit den 70er Jahren die Stadt Karlsruhe zu einem Zentrum zeitgenössischer Aktivitäten. Als Komponisten waren unter anderem Wolfgang Rihm und Volker Heyn präsent. Manfred Reichert veranstaltete regelmäßig Festivals für zeitgenössische Musik, und das Zentrums für Kunst und Medientechnologie wurde geplant. An der Karlsruher Musikhochschule war es vor allem Eugen Werner Velte, der durch seine Offenheit verschiedensten Stilen den Weg bahnte. Mit seinem Tod 1984 versiegte dieses Engagement für das Neue und Experimetelle, und außer gelegentlichen Vortragsabenden gab es so gut wie keine Veranstaltungen, in denen junge Kompositionsstudenten sich präsentieren konnten. Die immer ehrgeiziger an ihrem Ruf arbeitende Musikhochschule konzentrierte sich vermehrt auf den Bereich, der sich der Auf- und Ausführung von Musik, und da natürlich der traditionellen widmet. Ich erinnere mich, Aufführungen in angemieteten Büroräumen eines Teppichhauses - dieselbe Etage diente den Theorie- und Kompositionsdozenten als Lehrstätte - beigewohnt und sogar selbst darin gespielt zu haben. Keine besonders angemessene Umgebung. Dabei hatte sich in den Kompositionsklassen Rihms und Mathias Spahlingers eine äußerst interessante Konstellation junger Talente gefunden.
 

  • Die Vor-Geschichte

Da die Hochschule und deren Lehrer selbst keine Initiative ergriffen, an diesem Zustand etwas zu ändern, nahmen Anfang 1989 eben diese Studenten die Sach selbst in die Hand und initiierten die noch heute bestehende Konzertreihe Junge Komponisten - Neue Kompositionen an der Musikhochschule. Die Konzerte der Reihe fanden zunächst im Stephansaal der katholischen Stadtkirche und im Sendesaal des Karlsruher Studios des Süddeutschen Rundfunk statt. Mit dem Einzug der Hochschule ins wieder aufgebaute Gottesauer Schloß hätte sich dann die räumliche Situation gänzlich ändern können. Hätte man nicht gleich die erste Veranstaltung in den keinen Orgelsaal ganz nach oben, wo sowieso keiner hinkommt am Tag des Konzertes selbst verlegt, um - gleichzeitig!!! - im großen Konzertsaal ein ausgerechnet brasilianisches Fest abzuhalten. Aber die Leute kamen - und zwar massenhaft. Trotz Regen und Stockwerken. Die Fiesta Brasiliera blieb verwaist.
 

  • Der Patron

Die Gründung der NKG hing nicht zuletzt damit zusammen, daß man von der Hochschule unabhängig sein wollte. Wolfgang Rihm gab seinen väterlichen Segen, und es sollte nicht seine letzte Initiative für die Gruppe gewesen sein: Zum ersten Konzert im Karlsruher Sendesaal des Süddeutschen Rundfunks am 18.12.1990 schrieb er:

Komponisten gibt es nicht in Gruppen. Deswegen bilden sie manchmal welche und sie wissen warum. Die organisatorischen Schwierigkeiten bevor eine Note oder was auch immer auf dem Papier steht sind bereits riesenhaft. Sie wachsen ins Unermeßliche, wenn die Note in einen klingenden, hörbaren Klang geraten soll. Dabei hilft man sich gegenseitig. Und es geht leichter, besser. Aber das ist nicht alles. Für das Einzeltier Komponist ist etwas lebensnotwendig: der Austausch mit anderen Einzeltieren, das absichtslose Gespräch, der absichtliche Streit, das Absacken, spät, wenn es immer später wird.

Am Organisierten, Gespräch und Absacken, mischt sich kreatives Umfeld, was nach außen dringt. - Klang und Ton brauchen ihren Humus, Mutterboden. - Als Lehrer müßte man eigentlich hauptsächlich einen Packen Kreativ-Torf zur Verfügung stellen. Wachsen muß alles von allein. Und so geschieht es und macht mich sehr glücklich und deshalb mache ich gar keinen Hehl daraus: es soll gut gehen! Viel Glück!

Für das 2. Konzert der Neuen Komponisten Gesellschaft mit dem Titel Mirliton & Partisan - A Kind of Music's Entertainment an der Berliner Akademie der Künste stellte Wolfgang Rihm sich als Moderator zur Verfügung und das von dem Ensembe der NKG ausgerichtete Portraitkonzert der Kompositionsklasse Wolfgang Rihm bei den Frankfurter Festen 1992 - die meisten Mitglieder der NKG waren auch an dem Austauschkonzert der Rihm-Klasse 1991 im Rahmen des ADEvantgarde-Festivals München vertreten -, sowie das Konzert am 18. November 1993 im Rahmen der Tage für Neue Musik in Stuttgart fundieren auch in dieser Verbindung. Die fortwährenden Bemühungen der Gruppe, Träger für die Konzerte zu gewinnen unterstützte er 1994 mit folgender Empfehlung:

Die "Neue Komponisten Gesellschaft" ist die Initiative junger Komponisten mit dem Ziel, qualitätvolle Aufführungen neuester Musik zu ermöglichen. Seit einigen Jahren ist die NKG nun - zunächst von Karlsruhe ausgehend, bald schon international tätig, und ist z.B. aus dem Kulturleben der Stadt Karlsruhe nicht mehr wegzudenken. Mit relativ geringem Aufwand gelang es den jungen Künstlern bis jetzt, immer wieder fesselnde Programme zusammenzustellen, wirkliche Autoren-Konzerte auszurichten. Junge Künstler des In- und Auslandes finden hier ein Podium, ihre Arbeiten vorzustellen oder als Interpreten aufzutreten. Ich halte diese Aktivitäten für unbedingt förderungswürdig und freue mich, wenn es zu einer verstärkten Unterstützung für die bislang hauptsächlich vom Idealismus lebenden jungen Künstler kommt.
 

  • Das Konzept

Für die weitere Betrachtung der Geschichte der NKG stellt sich die Frage, inwieweit es sich um eine bloße Interessengemeinschaft im Sinne von: gemeinsam sind wir stark gehandelt habe, oder ob es tatsächlich eine ästhetische Grundlinie unter allen beteiligten Komponisten gab. Der von Rihm angesprochene - auf den Film verweisende - Autorenbegriff- mag auf eine gemeinsame Arbeitshaltung schließen lassen. Die einzelnen Persönlichkeiten der Gruppe scheinen in ihren Ansätzen jedoch unvereinbar. Individualität spricht aber nicht von vornherein gegen die Funktionstüchtigkeit einer solchen Initiative. So machten die NKGler aus der Situation ein Konzept, wie es im 1. Jahresbericht beschrieben ist: Das ästhetische Konzept dieser Art von Konzertveranstaltung liegt in der dezidierten - Losigkeit - des Programms, welches allerdings aus präzise formulierten Einzelkonzepten, die möglichst divergent ausfallen sollten, besteht. "Möglichst divergent" meint nicht äußerst unterschiedliche Varianten eines im Grunde einheitlichen Klangkonzeptes (also kein "Potpourri"), sondern bezeichnet ein Suchen von Klangmöglichkeiten, die einen Hörerwartungsanspruch in Richtung von Avantgardeklängen und exemplarischer Neuer Musik nur dann erfüllen oder ihm widersprechen, wenn es der Aufführungs- und Klangzeichenkontext des Konzertes nicht erwarten läßt. Das bedeutet wiederum: Eine Komposition wird in diesen Konzertveranstaltungen (die u.a. zu einem regelmäßigen Forum der Gesellschaft werden sollen) nicht nur als ein auf sich selbst verweisendes Klingen in irgendeinem Konzert verstanden, sondern erreicht ihren Informations- und Sinnwert gerade erst in der Aufführungsnachbarschaft zu anderen Stücken; - Erst die entstehende Kommunikation der Einzelkonzepte im Konzertganzen macht das ästhetische Vor- und Nichtvorhaben dieser "Sammelsuriumkonzerte" aus: In späteren Projekten wurden die Programme stärker durch die jeweiligen Initiatoren geprägt, so z.B. das Projekt mit Alvin Lucier durch Markus Trunk, der den Kontakt herstellte und Jör Mainka, die Do It Yourself-Tournee durch Christoph Grund und Wolfgang von Stürmer. Die Überraschungsabende trugen Dietrich Eichmanns Handschrift. In dem letzten großangelegten Projekt der Neuen Komponisten Gesellschaft Got to be Hybrid findet sich der oben formulierte Ansatz wieder. Allerdings erscheint mir der Titel, der mehr futuristische Erwartungen weckt als er einhält, insofern gekünstelt und manieriert als er der zufälligen Auswahl von Stücken, die sich zwischen Elektronischem und Herkömmlichen bewegen, ein Konzept und somit auch eine Auseinandersetzung unterstellen.
 

  • Die Finanzen

Die Zusage des Musikredakteurs des Karlsruher Studios des Süddeutschen Rundfunk Hans C. Hachmann, regelmäßig Konzerte im Sendesaal zu veranstalten, bedeutete eine gewisse Existenzgrundlage für die Neue Komponisten Gesellschaft, die aber natürlich längst nicht als einzige Finanzquelle ausreichen konnte. Wie Christoph Grund, der bald nach der Gründung in die Gruppe aufgenommen wurde, in seinem Beitrag schreibt, eignete man sich Grundkenntnisse des Musikmanagements an, um weitere Gelder zu mobilisieren. Als weitere Förderer traten das Kulturreferat der Stadt Karlsruhe, bis 1995 mit einem jeweiligen Jahresetat von DM 5.000 (1995: DM 4.500 und 1996: DM 3.500) und gelegentlich das Regierungspräsidium Karlsruhe auf. Die GEMA-Stiftung beteiligte sich an einigen Projekten, bei dem Do It Yourself-Projekt sogar mit beachtlichen DM 16.000. Die sich verschlechternden allgemeinen Lage in der Kulturwelt erschwerte aber zunehmend die Organisation von Veranstaltungen. Das Engagement der Mitglieder war dadurch eingeschränkt, daß zumindest für die meisten klar war, in der NKG keine finanzielle Existenzgrundlage finden zu können und sich anderweitig orientieren zu müssen.
 

  • Die Vereinsgründung

Um den weiten Interessentenkreis um die Veranstaltungen der Neuen Komponisten Gesellschaft herum, wie auch die finanziellen Verhältnisse zu stabilisieren, entschloß man sich 1993 aus der Gesellschaft einen Verein mit aktiver und passiver Mitgliedschaft zu machen. Als Fördermitglied trat vor allem Carsten Hertlein in Erscheinung und neuer Vorsitzender wurde Uwe Drömer mit dem Ziel einer größeren Umstrukturierung für eine effektivere Arbeit. Später sollte eine Geschäftsordung die Vereinssatzung noch ergänzen, um die Aufgabenbereiche der einzelnen Mitgieder klar abzustecken, und zu vermeiden, daß wenige die ganze Arbeit verrichten. Diese Geschäftsordnung wurde niemals verirklicht, was dann auch Uwe Drömer zum Rücktritt bewog.

Diese Vereinsgründung hat aber auch einen etwas merkwürdigen Beigeschmack (siehe auch den Beitrag Christoph Grunds): Ein Verein steht ganz im Sinne bürgerlicher Abgrenzung der Allgemeinheit wie auch anderen verwandten Gruppierungen gegenüber. Anstatt zu öffnen, schließt er aus. Und genau an diesem Punkt ist vielleicht der Grund für das Auseinandergehen der NKGler anzusetzen. Während ein Teil der Komponisten für eine Öffnung nachrückenden Kompositionsstudenten gegenüber plädierte, fürchteten andere um die Geschlossenheit der Gruppe (siehe auch den Beitrag von Markus Trunk) - und wahrscheinlich ihren Einfluß, der nach ihrem Weggang aus Karlsruhe - bei einer weiteren Konzentration auf die Stadt zwangsweise hätte geringer werden müssen. Es entstanden zwei grundsätzliche Richtungen, die in ihren Ansprüchen auf Dauer unvereinbar waren.
 

  • Die Gent Convention

Um diese Konfliktsituation zu lösen traf man sich 1993 in Gent. Die meisten der NKG-Gründungsmitglieder hatten inzwischen Karlsruhe verlassen: Wolfgang von Stürmer ließ sich in New York nieder, Markus Trunk ging erst auch in die USA, schließlich nach England; Dietrich Eichmann zog es nach Brüssel; Michel Ackermann begann ein Medizinstudium in Freiburg, Christoph Grund zog nach Bremen um. Das hatte natürlich grundsätzliche Organisationsprobleme zur Folge, wurde aber auch als Chance verstanden, aus dem regionalen Rahmen auszubrechen und international zu agieren. Wie Jörg Mainka, der langjährige NKG-Vorsitzende, aber überzeugend vertritt, hätte es dazu auch einer Stabilisierung - durch neue Mitglieder - des Karlsruher Zentrums bedarft, während die auswärtigen NKGler von den ursprünglichen pluralistischen, an die Karlsruher Region gebundenen Zielen weg und sich auf bi- bzw. multiliterale Projekte verlegen wollten. Und so war der Hauptauseinandersetzungspunkt in Gent - einmal wieder - die Aufnahme oder Nicht-Aufnahme von Komponisten, die schon länger ins Umfeld der Gruppe geraten waren. Schließlich wurden Rebecca Saunders und Rainer Lorenz aufgenommen.
 

  • Die Projekte

Diese sich aus der Organisiertheit ergebenden Konflikte sollen aber keineswegs den Eindruck erwecken, daß auf künstlerischer Seite nicht äußerst erfrischend und eigenständig gearbeitet wurde.

Die Ambivalenz zwischen Etabliertheit und Szene scheint auch in den Programmen der Neuen Komponisten Gesellschaft durch: Da gibt es zum einen Konzerte an gängigen Orten des Musikbetriebs (SDR-Studio, Alte Oper Frankfurt, Akademie der Künste Berlin), und zum anderen Veranstaltungen happening-artigen Charakters, denen es zum Teil gelang, die unglücklichen Grenzen zwischen U- und E-Musik, zwischen "Klassik" und Neuer Musik aufzuheben. Im Gegensatz zu der Unflexibilität in der Organisationsstruktur fand sich im Künstlerischen eine geistige Freiheit und Offenheit, eine Lust an Spiel und Experiment, wie man sie in der institutionalisierten Neuen Musik-Umgebung unmöglich findet.

  • Die Happenings

Die erste Veranstaltung in diesem Sinne war der Kammermusiktee im Hause Grund: For Private Use Only. Ein Zusammentreffen verschiedenartiger Kunstformen zwischen Seriösität und Groteske: Der gesellschaftliche und private Kontext einer künstlerischen Darbietung prägt deren Gehalt entscheidend mit aus. Das Sein-des-Orts als künstlerische Arbeits- und Informationsquelle, das besondere Interesse am Wer-hört-wo-was-mit-wem-zusammen-wie und die Spannung des nicht kontrollierbar Entstehenden auf engem Raum waren Motivation für dieses Projekt. For private use only war die wohl intimste dieser Veranstaltungen, ein Potpourri aus Kitsch, Dada, Cage, Ausstellung und Performance. Und genau hier scheint selbstironisch die äußere Situation der NKG durch: das bürgerlich-spießige Ambiente auf der einen Seite, verspielte Freiheit auf der anderen. Das gemeinschaftliche Schaffen von Kunst aus der Situation heraus ist für Christoph Grund das vorwiegend erstrebenswerte Ziel der NKG gewesen, leider hat es niemals wieder einen solchen Salon gegeben.

Daß auch der Rundfunk bereit ist seine etablierten Bahnen zu verlassen, zeigte sich in dem sogenannten Komponistenpiquenique. Hier wurde eine besondere Form von "Talk-Show" realisiert: Das aufgezeichnete Gespräch zwischen Hans C. Hachmann und den Mitgliedern der Gesellschaft diente zusammen mit Einzelinterviews und Musikausschnitten als Vorlage zu einer Rundfunksendung, die Hachmann als klanglich-sprachliches, als physisch-akustisches und physisch-porträtierendes Hörbild der Gesellschaft gestaltete. Die Informationssendung über eine Gruppe von Komponisten wurde selbst zur Komposition, zum Hörspiel.Das Café Piquenique in Karlsruhe war damals der Treffpunkt der jungen Komponisten und wurde deshalb als Aufzeichnungsort gewählt.Die in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Alturas e.V. zwischen 1992 und 1993 veranstalteten Überraschungsabende im geräumigen Havanna-Cafe verlassen diesen Kreis des Intimen und spielen mit Formen des Entertainments (wie überhaupt der Einfluß des Amerikanischen bemerkenswert groß ist). Hier finden sich vielfältige Formen zwischen Ernstem und Parodien. Unter der Moderation eines Didi Oakman werden die neuen Postleitzahlen zu einer Schumann-Begleitung verlesen, hört man Chopins berühmte As-Dur Polonaise in der Bearbeitung für Jodler, Alphorn, Cello, Saxophon und Orgel, aber auch Kompositionen der NKGler und ihrer Gäste. Im Havanna-Cafe gab es noch weitere Veranstaltungen, die durch die "lockere", bewirtete Atmosphäre eine Art Zwitterstellung zwischen etabliertem Konzert und Happening einnahmen. Grundsätzlich unterschieden sie ich auch dadurch von den "offiziellen" Konzerten, daß sie mehr "fremde" Komponisten mit einbezogen.

  • Die Konzerte

Eine besondere Herausforderung war es, die Frische der Happenings auf die Konzertsaal-Situation zu übertragen. Der SDR veranstaltete insgesamt 11 Konzerte mit der NKG, und nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, ein unverkennbares Programm zu produzieren, ließ Hans Hachmann den Künstlern alle erdenklichen Freiheiten. Man durchstöberte die Lagerräume und fand Lange-nicht-Benutztes. Nach anfänglicher Zurückhaltung gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Technikern des SDR sehr angenehm. Manche Kompositionen waren dann auch an der Grenze des Radiotauglichen, wie z.B. Jörg Mainkas Truck, in welchem ein Modell-Lastwagen durch den Zuschauerraum ferngesteuert wurde. Zu den Konzerten wurden regelmäßig Gastkomponisten eingeladen, die im Fall z.B. Alvin Luciers Gegenstand einer Auseinandersetzung mit dessen Ästhetik wurden: Nothing is Real. Dieses und vor allem das Do-It-Yourself-Programm sind die in ihrer Konzeption schlüssigsten, da man die Idee des zufällig nebeneinandergestellten verließ und die Stücke echte Bezugspunkte zueinander bekamen. Mit 6 Konzerten und einem Workshop war das D.I.Y.-Projekt das größte der NKG und leider entfielen die geplanten Aufführungen in Amerika durch den Rückzug des Goethe-Instituts. Austauschkonzerte ergaben sich mit dem Ensemble Intermodulation in Budapest und dem Edinburgh Contemporary Arts Trust. Diese Projekte wurden alle von Gruppen, die sich innerhalb der NKG ergeben hatten, organisiert.
 

  • Das Ensemble

Die meisten Komponisten der Neuen Komponisten Gesellschaft waren auch als Interpreten ihrer eigenen oder anderer Stücke in Erscheinung getreten, zumindest aber als Performer oder Techniker. Diese Handwerklichkeit wie auch die beständige Zusammenarbeit mit Instrumentalstudenten der Karlsruher Musikhochschule führte zu der Überlegung, der Gruppe ein Ensemble anzuschießen, das als eine Art Pool flexibel Besetzungen jeglicher Art ermöglichen sollte. Im April 1992 fand das erste Konzert des Ensembles im SDR-Studio statt. Die auch in der Geschäftsordung formuierten Bestrebungen, das Ensemble unabhängig von der NKG zu verwalten, stießen jedoch - zurecht - auf hefftigen Widerstand bei einigen Komponisen, so daß es bis heute bei dem anfänglichen Pool geblieben ist. Natürlich hätte eine Selbstverwaltung der Musiker gerade bei der oftmals chaotischen Organisation der NKG Vorteile gehabt, und natürlich waren die Erwartungen einiger NKGler, die Musiker sollten sich ausschließlich der NKG verpflichtet fühlen, aufgrund der nicht vorhandenen finanziellen Grundlage untragbar, dem von der Klarinettistin des Ensembles vorgebrachten Vertragsentwurf fehte es aber an jeglicher Grundlage einer sinnvollen Zusammenarbeit.
 

  • Die Auflösung

Wenn Christoph Grund die Gründung der Neuen Komponisten Gesellschaft als den Anfang vom Ende bezeichnet, trifft er den heiklen Punkt einer solchen Initiative: Auch ohne eine Gesellschaftsgründung hatten die Komponisten bereits zusammengearbeitet und sich bewußt dem etablierten Neue Musik-Betrieb entgegengestellt. Wie Michel Ackermann in seinem in dieser Veröffentlichung abgedruckten Text schreibt, entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie es off-Szenen typisch ist. Durch die Gründung einer Gesellschaft näherte man sich in gewisser Weise dem institutionalisierten Musikleben: verwaltungstechnische Aufgaben fielen an, regelmäßige Sitzungen, Diskussionen über Organisationsformen, Aufnahme weiterer Mitglieder usw. Dieser Umgang mit dem Gesetzten, Etablierten führte dann auch zu den Konflikten innerhalb der Gruppe. Die einen trauerten der alten Zeit nach, die anderen wollten den Zusammenschluß nutzen, zu einer Institution im Rahmen der internationalen zeitgenössischen Musikszene zu werden.

Mit ihrer unkonventionellen, unbelasteten Art war die Neue Komponisten Gesellschaft etwas Besonderes im zeitgenössischen Musikbetrieb. Sie hätte größere Unterstützung verdient. Und wenn Michel Ackermann am Ende seines Artikels schreibt: Auch wenn wir für die etablierte Neue Musikszene nur ein Hauen Jugendlicher waren: Ihr verliert etwas an uns. Vielleicht kommen wir wieder,trifft er gleich mehrere Punkte: Die NKG konnte nur in dieser speziellen Konstellation außerhalb des Etablierten - und das Niveau war keineswegs geringer - existieren, in dieser Form konnte sie auch nur über einen bestimmten Zeitraum bestehen. Und wahrscheinlich wird sie auch wiederkommen: mit anderen Komponisten, an anderem Ort, mit anderem Namen - gegründet von Künstlern mit enthusiastischem, unverbrauchten Idealismus. Die Neue Komponisten Gesellschaft steht für den freien Geist in der Kunst, sie steht aber auch für die Schwierigkeiten der äußerlichen Organisation von Kunst. Kunst und Organisation scheinen sich auf Dauer auszuschließen.

 02.02.98