Beitrag über „next_generation“ für SWR2 JetztMusikMagazin 20.06.2005

Meine allgemeine Analyse ist jedoch die des Schwindens dieser Form der Institutionalisierung der Musik, wie wir sie aus der klassischen Konzertmusik kennen. Und wir sehen heute, und ich sehe das auch bei meinen eigenen Studenten, dass deren Sozialisierungsweg hin zur Musik vollkommen anders verläuft: die sozialisieren sich über MTV, die sozialisieren sich über Garage-Rock, die sozialisieren sich also über alles und nochwas, nur nicht über die Matthäus-Passion und das Studieren der Tonleitern. Das heißt also, dass man auch dieser fundamentalen gesellschaftlichen Umschichtung, die da stattfindet, Rechnung tragen muss, wenn man über die Institutionalisierung von welcher Form von Musik auch immer nachdenkt. Also meine Zukunftsvision wäre: Kinder schafft einen Platz der konzentrierten Aufmerksamkeit, schafft einen Platz, wo es möglich ist, sich sehr vielfältig zu qualifizieren, in dem aber auch eine gewisse freudige und spannende Atmosphäre herrscht, denn wenn das neue Genre an der Langeweile, die es bis jetzt erzeugt hat, zugrunde geht, dann brauchen wir ihm nicht mehr hinterher zu weinen, dann sagen wir nur noch: biste ja auch selber Schuld gewesen. Und von daher auch, und das haben Sie ja gestern wahrscheinlich gespürt, meine unglaubliche Allergie gegen die Akademisierung dieser neuen Welt. Dass diese alten Damen und Herren das wieder besetzen, das wieder in Sparten einteilen wollen, in Kompetenzen einteilen wollen und so weiter: so wird die Musik sich nicht weiter entwickeln. Konrad Boehmer    

Zum ersten Mal trafen sich auf Initiative des „Zentrums für Kunst und Medientechnologie“, kurz ZKM am 2. Juni-Wochenende die Elektronischen Studios der Musikhochschulen Deutschlands, der Niederlande und der Schweiz in Karlsruhe. Unter dem Titel „next generation“ sollten mit 7 Konzerten um ein 3-tägiges Symposium „neue Impulse für die elektroakustische Musik geschaffen“ und „der Austausch zwischen den einzelnen Institutionen gefördert und belebt werden“.

Im Rahmen des durch die europäischen Regierungen verordneten Bologna-Prozesses sind alle Universitäten und Hochschulen verpflichtet international vergleichbare Bachelor- und Masterstudiengänge einzurichten, was neben den allgemein und viel diskutierten negativen Aspekten für die einzelnen Institutionen auch die Chance einer Umstrukturierung und einer zeitgemäßen Erneuerung mit sich bringt. Diesem Umstand ist es wohl zu verdanken, dass die individuellen Studios sich erheblich reflektierter über ihre Stellung im kulturellen Ausbildungsbetrieb artikulieren können, als das noch vor einigen Jahren zu erwarten gewesen wäre. Da werden an den Musikhochschulen in Karlsruhe, Hamburg und Essen Studiengänge wie „Musikinformatik“, „Multimediale -“ sowie unter anderem Pop- und Jazz einschließende „Integrative Komposition“ ins Leben gerufen, da werden in Bremen und Weimar enge Verbindungen zu Kunsthochschulen geknüpft und an der Hochschule der Künste in Bern sogar ein neues Studio gegründet.

Bedingt durch ihre sehr unterschiedliche Ausstattung und Größe pflegen die Elektronischen Studios allerdings auch sehr eigenständige Profile und Ausbildungsansätze – was die durch die EU angestrebten Vergleichbarkeitsbestrebungen wiederum ad absurdum führt: So existiert zwischen dem neubesetzten 1-Mann-Studio der Musikhochschule Freiburg und dem in 35-Jahren groß gewordenen, wesentliche multimediale Bereiche umfassenden Studio der Folkwang-Hochschule in Essen ein großes Spektrum elektroakustischer und ästhetischer Spezialisierungen.

Etwas verblüfft registriert man da die Tatsache, dass von den deutschen Studios allein und ausgerechnet die beiden eben genannten, also das kleinste und das größte, ein ernst zu nehmendes Engagement für OpenSource entwickeln, ist doch gerade da ein Bereich zu finden, der – neben den offensichtlichen pekuniären Vorteilen gerade auch für die Studenten – individuelle, von vorgegebener Software lösgelöste Konzepte fördert und fordert. Das in diesem Bereich in Europa führende „Institut für elektronische Musik“ der Universität Graz, das als einziges Komposition und Softwareentwicklung unter einem Dach vereint, blieb unglücklicherweise ohne offizielle Repräsentation auf dieser Veranstaltung, hätte es doch das Spektrum der Möglichkeiten um einen wesentlichen Aspekt der Diskussion erweitert.

Überraschend klar und definiert sind die ästhetischen und handwerklichen Handschriften, die in den Portraitkonzerten der Musikhochschulstudios zu erkennen waren: Zeichneten sich die Studentenkompositionen des von Michael Harenberg und Daniel Weissberg geführten Studios in Bern durch einfache, sehr präzise durchdachte Konzepte aus, überzeugte das Studio von Robin Minard aus Weimar durch einen technisch versierten Umgang mit 8-Kanal-Umgebungen.

Die für mich überzeugendste Arbeit ist dann auch der in Belgrad geboren Lara Stanic gelungen, die derzeit „Musik und Medienwissenschaft“ in Bern studiert. Die Klänge, die Sie gleich hören werden, entstehen durch Rückkopplungen zwischen 3 Mikrophonen und einer mit Lautsprechern bestückten Jacke und werden folglich durch die Veränderung des Abstands der Lautsprecher zu den Mikrophonen gesteuert: „Spielfeld“ von und mit Lara Stanic

Das wohl aus seiner Freiburger solitären Situation entstandene Verlangen Orm Finnendahls, Neue Musik aus ihrem Elfenbeinturm heraus in den öffentlichen Raum zu verlagern und ein in einer Eisdiele vegetierendes Diskklavier mit neuen Stücken zu beleben war eine originelle Variante der von längst nicht allen Studioleitern als notwendig erachteten Sozialisierung elektroakustischer Musik.

Stand schon der Titel „Metier im Wandel: Komponieren heute“ der „next generation“ abschließenden Podiumsdiskussion synonym für regressive Biederkeit, so drehte sich das Gespräch selbst – in Abwesenheit jeglichen Vertreters der thematisierten Generation - ausschließlich - auf zum Teil anzuerkennend hohem rhetorischen Niveau - um Vergangenes. Vielleicht ist es unangebracht und ungerecht, Persönlichkeiten, die auf eine erfüllte Biographie zurückblicken, diese hartnäckige Verhaftung am Bekannten, längst Formulierten vorzuwerfen. Allerdings zeugt – und eine andere Erklärung kann ich meinerseits nicht finden – allein die Zusammenstellung einer solchen Gesprächsrunde von einer gehörigen Portion politischen Opportunismus, wie sie symptomatisch und wenig hilfreich für weite Bereiche unserer kulturellen Landschaft ist.

In diesem Zusammenhang nimmt der bereits eingangs gehörte Leiter des „Instituts für Sonologie“ des Königlichen Konservatoriums in Den Haag, der Komponist Konrad Boehmer, eine nicht nur geographische Sonderstellung ein: Auch er blickt zurück auf ein umfangreiches Lebenswerk. Auch ihm ist es in der Abschlussdiskussion - im Gegensatz zu vorangegangenen - nicht gelungen, sich der Verlockung eines nostalgischen Gesprächs über bessere Zeiten zu entziehen.

Allerdings artikulierte er im Verlauf des Symposiums die jüngsten, frischesten und mutigsten Analysen und Visionen:  Er vermittelte selbst so klischeebehaftete Phrasen, wie jene, dass er von seinen Schülern lerne, mit einer solchen Lebendigkeit, dass man ihm glaubte, seine Begeisterung an seine Studenten weitergeben zu können. Ihm gelang es, sich auf die Voraussetzung zu besinnen, die Kreativität vor allem braucht, um sich zu entfalten zu können: die Freude an den Dingen die man tut. Und er war es auch, der aussprach, was das eigentliche Thema der sich um Details windenden Debatten sein könnte: die Angst, überflüssig zu sein, die Angst um die eigene Berechtigung. 

Jenseits der erwähnten Trübungen war „next generation“ eine erfolgreiche Veranstaltung. Ein Treffen dieser Art war mehr als überfällig, bietet sich doch durch eine gegenseitigen Stärkung und Solidarisierung die Chance, die undankbare Position, die die elektroakustische Musik an den Hochschulen im Verhältnis zur reformbedürftigen, völlig überalterten Instrumentalmusikausbildung einnimmt, zu verbessern. In diesem Sinne wäre es durchaus wünschenswert, ein solches Ereignis, wenn vielleicht nicht jedes Jahr, so doch in sinnvollen Zeitabschnitten zu wiederholen.