„Virtual Machines“ für

WDR3open „Studio Elektronische Musik“ 19.11.2008 23:05h

Autor: Michael Iber

Zuspiel
0:10

„Windows“-Sound

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Normalerweise ertönt dieser Klang beim Start eines hier nicht namentlich zu erwähnenden Betriebssystems. Heißt das aber auch, dass sich dahinter tatsächlich das verbirgt, wonach es klingt? Zahlreiche Benutzer von professionellen Servern können sich da heute nicht mehr so sicher sein. Denn mehr und mehr gaukelt das Rechensystem dem Anwender seine gewohnte Umgebung nur noch vor. Längst werden in modernen Anlagen duzende, ja hunderte von Einzelrechnern zusammengefasst. Man nennt das Konsolidierung. Die Vorteile sind immens und Nachteile gibt es nicht: Die Arbeitslast wird optimal auf eine weitaus geringere Anzahl von Prozessoren verteilt als bei Einzelrechnern. Das spart Energie- und Wartungskosten. Und wenn eines der virtualisierten Betriebssysteme einmal abstürzen sollte, wird es im Sekundenbruchteil neu gestartet, da es unabhängig von der Hardware ist.

 

Auch in der Musik ist die Virtualisierung von Instrumenten und Studiogeräten seit einigen Jahren ein Thema, das sich allerdings längst nicht so einfach und unproblematisch gestaltet wie in der industriellen Computerwelt. Die verschiedenen Ursachen und Gründe dafür stehen im Brennpunkt dieser Sendung. Zu Wort kommen dabei die Komponisten Marcus Schmickler aus Köln, der Wahlberliner Enno Poppe, Ludger Brümmer, seines Zeichens Leiter des Instituts für Musik und Akustik am ZKM in Karlsruhe, sowie vom Freiburger Experimentalstudio der Musikinformatiker Joachim Haas. Am Mikrofon begrüßt Sie Michael Iber.

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Clara Rockmore spielt Tschaikowskys „Valse Sentimentale“ auf dem Theremin (Ausschnitt) aus „Ohm+: the early gurus of electronic music“, Ellipsis Arts 3691

Evt. Sprecher ???
sonst Autor
(Zuspiel stehen lassen)

Als virtuell gilt die Eigenschaft einer Sache, die nicht in der Form existiert, in der sie zu wirken scheint, aber in ihrem Wesen und ihrer Wirkung einer real existierenden Sache gleichartig ist.

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Mit dieser Definition fasst die Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ den Begriff der Virtualität recht weitläufig und erlaubt eine Interpretation auch jenseits reiner Software-Implementierungen.

Um einen musikalischer Tonerzeuger unter dem Aspekt seiner Virtualität zu betrachten, ist es demnach entscheidend, dass es ein Instrument gibt, welchem er nachempfunden ist, das zu ersetzen er in der Lage ist. Der Begriff des virtuellen Instruments steht für die Entkoppelung der ursprünglichen Verbindung von Klangerzeugung und Interface.

 

So gesehen erstreckt sich die Geschichte virtueller Musikinstrumente bereits über mehrere Jahrhunderte. Da ist zum Beispiel die Orgel, die mit einer wachsenden Anzahl von Registern vielerlei Instrumente imitiert: Angefangen bei den Geigen über diverse Bläser-Emulationen bis hin zur Vox Humana, der menschlichen Stimme. Auch die im 18. Jahrhundert in Mode kommenden Orchestrions nehmen einen Platz ein auf dem Weg zum virtuellen Instrument. Mit ihrer aufwendigen Mechanik können sie ganze Orchester nachahmen.

 

Zu diesen stromlosen Geräten gesellen sich Anfang des 20. Jahrhunderts elektronische beziehungsweise elektro-mechanische Musikinstrumente. Voran das Theremin, das über zwei Antennen die Modulation eines elektronisch erzeugten Tones durch „magische“ Handbewegungen in der Luft erlaubt. Berühmt geworden ist Clara Blackmores virtuose Performance von Tschaikowskys „Valse Sentimental2. Fasst ebenso einflussreich ist nur kurze Zeit später die Erfindung des Trautoniums, dem auch Paul Hindemith einige Stücke widmet.

Zuspiel
2:48

Paul Hindemith: aus „7 Stücke für 3 Trautonien“, Nr. 1 und 2. Interpret: Oskar Sala. LC 8155

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Das „Virtuelle“ dieser Instrumente steht weniger im Zusammenhang mit ihrer klanglichen Charakteristik. Beide klingen „elektronisch“ und ahmen an und für sich kein anderes Instrument nach. „Virtuell“ ist vielmehr die Art und Weise wie sie in traditionell gesetzte Kammermusik implementiert werden. Man hört förmlich die Holzbläser des Hindemith’schen Tonsatzes: Das sind elektronische Klänge verkleidet im traditionellen Sprachgewand.

O-Ton Schmickler

In meiner Arbeit mit Thomas Lehn, einem Synthesizer-Virtuosen, der auf einem Analogsynthesizer der Firma EMS spielt, habe ich über die letzten fünf Jahre einige Konzerte gespielt. Und er spielt eben auf diesem EMS-AKS-Synthesizer, einem kleinen analogen Modularsynth, und ich improvisiere dazu mit allen möglichen digitalen Tonerzeugern und Synthesizern.

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Die in Köln lebenden Elektroniker Marcus Schmickler und Thomas Lehn thematisieren in ihren Konzerten die Gegenüberstellung analoger und digitaler Technologien.

O-Ton Schmickler

Gerade bei der Arbeit mit einem hervorragenden Improvizer wie Thomas Lehn, der sehr vom Instrument her kommt, weil er eigentlich ausgebildeter Konzertpianist ist und seinen Analogsynthesizer sehr virtuos bedient, im Sinne eines Instrumentes, ist mir deutlich geworden, dass im Zusammenhang mit Computersoftware mich das gestische Element an unserer Musik für mein Spiel nicht interessiert. Deswegen arbeite ich eben sehr mit Zufallsalgorithmen, die Klänge produzieren ohne, dass ich sie direkt triggere, bzw. auslöse, so dass ich mir innerhalb der Software einen Rahmen abstecke, z.B. wie dicht Klänge erzeugt werden sollen, in welcher Frequenz ich sie mir wünsche und natürlich die Klangfarben, mit denen gespielt werden soll, wobei selbst die eben zufälligen Prinzipien unterworfen wird .

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Wie gesagt: Die Entkoppelung von Klangerzeuger und Bedieneinheit ist eine der wesentlichen Eigenschaften virtueller Instrumente. Und so werden zahlreiche Versuche unternommen, um für die graphischen Oberflächen auf dem Computer-Bildschirm haptisch ansprechende und musizierbare Kontrollgeräte zu entwickeln. Mit eher mäßigem Erfolg. Mehr und mehr zeichnet sich ab, wie schwierig es tatsächlich ist, Lösungen zu finden, die der selbstverständlichen Handhabung einer Geige, der intuitiven Regleranordnung eines Minimoog oder der Unmittelbarkeit einer Flügelmechanik entsprechen.

Schmickler entzieht sich dieser „Interface“-Problematik, indem er sie schlichtweg ignoriert und sich etwa auf stochastische Verfahren verlegt, die er mehr als Texturen einsetzt denn als punktuelle, gesetzte Ereignisse.

O-Ton Schmickler

Dennoch hat das gestische Element in elektronischer Musik seinen Platz und spielt eben in unserem Duo eine ganz wichtige Rolle. Vielleicht kann ich ein kurzes Beispiel zeigen, wie Thomas Lehn mit einem Analogsynthesizer gestische Ereignisse erzeugt.

O-Ton Schmickler

(DEMO) Wie man hier ganz gut hören kann, steuert Thomas eigentlich sämtliche Parameter in Echtzeit, d.h. also sämtliche Lautstärkeentwicklungen, die Tonhöhen, Filterverläufe, Hallanteile usw.

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Das musikalisch Performative bleibt also mit dem analogen Gerät verbunden. Abgesehen von der Frage nach einem geeigneten Interface sprechen weitere Aspekte für die Verwendung „alter“ Hardware:

O-Ton Schmickler

Es gibt beispielsweise einen Trick, den man natürlich mit einem Digitalsynthesizer so nicht erzeugen kann. Wenn Thomas Lehn seine Hallspirale einsetzt, schlägt er auf die Seite des Instruments und erzeugt eigentlich einen Klang, der eben nur die Hallspirale selbst ist, d.h. man hört eben da das mechanische Verfahren auch ganz gut, was sich auf interessante Weise mit dem elektronischen System mischt.

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Gerade haben die beiden Musiker Konzertaufnahmen der letzten Jahre neu bearbeitet und als Konzentrat unter dem Titel „Navigation im Hypertext“ veröffentlicht.

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Schmickler/Lehn: Navigation im Hypertext, 21+22, LC10344

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Mit dem FM7, der Emulation des legendären DX7 von Yamaha, mit der virtuellen Version des Prophet-5 und mit der Software-Nachbildung der B3 Hammondorgel hat sich die Firma Native Instruments als einer der Marktführer für Virtuelle Instrumente etabliert. Aus ihrer marktorientierten Zielsetzung macht sie wenig Hehl und doch fallen avancierte Bitten nicht völlig unter den Tisch, wie der Komponist Enno Poppe erfahren durfte. Für die Realisation seines Stückes „Arbeit“ für virtuelle Hammondorgel hatte er allerdings trotz Softwareupdate noch einige weitere technische Hürden zu meistern.

O-Ton Poppe

Ich habe schon sehr lange damit geliebäugelt, weil ich das eine sehr schöne Simulation einer Hammondorgel finde. Die schönste, die ich gehört habe. Ich habe mit da viele angehört und wollte eigentlich schon 2004 bei Interzone das verwenden, da ging’s aber gar nicht, weil die damals noch überhaupt nicht stimmbar war. Die Leute haben halt gedacht, sie sind so authentisch wie möglich und authentisch heißt, die historische Hammondorgel war auch nicht stimmbar. Ich habe mit denen wirklich lange darüber gesprochen und auch mit einem Programmierer von denen und das hatte irgendwie keinen Sinn. Es gab dann ein paar Jahre später ein Update von denen, die war immerhin stimmbar. Und das ist aber immer noch mit einigen Mühen verbunden, also entspricht eigentlich nicht dem, wie ich es gerne hätte, wie ich mit das vorstelle, dass man so ein Ding stimmen kann, also es ist halt nicht frei stimmbar, sondern nur verstimmte Presets. Das hat mir aber gereicht. Also das, was ich jetzt habe, habe ich als Grundlage genommen. Die virtuelle Hammondorgel, die ich jetzt benutze ist in 12tel Tönen gestimmt, d.h. jeder Halbton ist noch einmal in 6 Teile geteilt. Praktisch sieht das so aus, dass ich halt 6-mal die gleiche Software laufen lassen muss, und jede dieser einzelnen 6 Orgeln, die gleichzeitig laufen, ist unterschiedlich gestimmt.

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Die Kombination von 6 im 12tel-Ton Abstand gegeneinander verstimmten Orgeln führt schließlich zu einem Tonvorrat von 528 Tönen, der sich unmöglich auf den 88 Tasten eines Keyboards unterbringen lässt. Enno Poppe macht eben dies zum Konzept seiner Komposition: die Tasten werden mit umschaltbaren Belegungen programmiert. Damit setzt er das virtuelle Instrument auf eine Art ein, die mit einer echten B3 nicht möglich wäre.

O-Ton Poppe

Was mich besonders interessiert hat, das ist eine Tastaturbelegung, die quasi die normale Tastatur des Pianisten umdreht. Also normalerweise liegen ja nebeneinander die Sekundschritte, ganz normal, also aufsteigende Linien, bei diesem Ding ist es so, dass ich bei nebeneinander liegenden Tasten Oktaven habe. (DEMO) Das sind die nebeneinanderliegenden Tasten, ich habe also auf engstem Raum habe ich auf diese Weise den vollen Tonraum. Also ich kann sehr leicht, sehr schnell, den kompletten Tonraum haben. Die Sekundschritte liegen dort, wo normalerweise die Oktaven sind, d.h. wenn ich jetzt eine Tonleiter spiele, das sind jetzt riesige Sprünge. Ich kann keinen Dreiklang spielen, weil meine Terz ist hier, und der dritte Ton für einen Dreiklang wäre schon zu weit weg. Ich kann jetzt aufgrund dieser Tastaturbelegung Muster bilden, indem ich sehr ähnliche Figurationen in allen Oktavlagen gleichzeitig habe. Das ist hier zum Beispiel ... Das sind diese Prozesse die dort stattfinden, indem ich auf den verschiedenen Oktavlagen, die alle dicht auf der Tastatur nebeneinander liegen, kann ich ein komplexes Muster erzeugen. (DEMO ENDE) Das interessante daran ist, dieses Verhältnis von diesem Haptischen, also wie man sich zur Tastatur verhält und wie aus einer bestimmten Handlung auf der Tastatur so ein Muster entsteht. Also diese Muster selbst hätten mich auch sonst interessiert, aber jetzt wieder die Frage zum virtuellen Instrument, das auf einer normalen Tastatur zu spielen, selbst wenn’s jetzt nicht verstimmt wäre, wäre extrem schwierig bis eigentlich unmöglich. Weil diese Sprünge liegen eigentlich unglaublich unbequem und auf dieser Tastatur liegt sehr vieles sehr bequem, was aber dann aus diesem gutliegenden heraus mir ermöglicht, eine sehr komplexe aber gleichzeitig auch aufgrund dieser verschiedenen Oktavlagen sehr gut durchhörbare Struktur zu schaffen.

Autor

Wie aber sieht Poppe das klangliche Verhältnis zum Original? Klingt die virtuelle Maschine tatsächlich einer echten Hammondorgel ebenbürtig?

O-Ton Poppe

Es ist ein Kompromiss. Ich finde aber, dass durch die klanglichen Einbußen, die man hat, das Gehör auf andere Sachen stärker hingewiesen wird. Wenn das ganze immer unglaublich brillant klingt, hört man das Stück anders. Also eine bestimmte Art von strukturellem Empfinden, das mich auch interessiert, oder dass ich auch zeige, dass ich was simuliere, also dass es etwas ist, was mit so einem historischen spielt. Also zum Beispiel mit diesem historischen Klang der Hammondorgel, mit diesem Klang, mit diesen Erinnerungen, das ist wichtig, aber ich finde es auch ganz schön, zu zeigen, dass es eine Simulation ist und damit auch aktiv umzugehen. Das stört mich dann auch gar nicht mehr.

Zuspiel
6:07

Enno Poppe: Arbeit, 3. Satz. Interpret: Ernst Surberg. Aufnahme WDR Witten 2006

Autor

Mit seinen Versuchen, kommerzielle Virtualisierungen von Musikinstrumenten auf einer Art Meta-Ebene einzusetzen, die über die Möglichkeiten des Originalinstrumentes hinausgeht, steht Enno Poppe in der Neuen Musik auf ziemlich einsamer Flur. Für die meisten Komponisten elektronischer und elektro-akustischer Musik ist eine auf kommerzielle Bedürfnisse hin ausgerichtete Software schlichtweg nicht interessant, nicht flexibel genug: Entweder sind sie gleich an der originalen Hardware interessiert und da besonders an deren nicht simulierbaren „Eigenheiten“. Oder sie greifen zurück auf die individueller zu gestaltenden Möglichkeiten musik-bezogener Programmiersprachen wie MaxMSP, Supercollider oder Csound.

 

Eine vielversprechender Perspektive bietet das Physical Modeling. Dieses Syntheseverfahren simuliert die physikalischen Eigenschaften von Klangkörpern und Klangerzeugern, zum Beispiel eine Gitarre mit dem dazugehörigen Zupfvorgang. Ludger Brümmer hat ich bereits vor Jahren auf diese Syntheseform spezialisiert:

O-Ton Brümmer
 

Der Vorgang, das Arbeiten an dem Klang hat etwas zu tun, ich finde diese Analogie ganz gut, zum Instrumentenbauer, der ein Instrument baut und dann immer das modifiziert und verändert und bastelt, auch Cage und sein präpariertes Klavier hat ja auch diese Aspekte von „den Klang gestalten“, zwar mit gewissen Vorgaben, aber die Vorgabe sind im physikalischen Modell noch mal etwas grundlegender und die Möglichkeiten deswegen vielfältiger. Aber die Idee ist die gleiche. Ich gehe nicht von einem Klang aus, der da ist, oder von einem Instrument, das ich bedienen muss, sondern ich gehe aus von einem Klangpotential, was ich erreiche mit Hilfe einer Maschine. Und diese Maschine muss ich erst einmal gestalten oder dieses Klangobjekt muss ich erst einmal gestalten.

Autor
 

Mit ihrer ungeheuren Eigendynamik sind die klanglichen Auswirkungen physikalische Modelle schwer kontrollierbar. Als hilfreich erweist sich da die Darstellung der Modelle am Bildschirm. So lässt sich zum Beispiel das Schwingungsverhalten einer Saite sehr plastisch darstellen.

O-Ton Brümmer
 

Und was wir hier haben sind vier Perlenketten, die parallel nebeneinander aufgereiht sind, und über diesen vier Perlenketten ist eine noch mal ganz große dicke Perlenkette. Diese vier Perlenketten sind vier Saiten, die sind alle unterschiedlich gestimmt. Und diese vier Saiten werden von einer großen schweren Saite gespielt. An dieser schweren Saite sind so eine Art Wurmfortsätze, so eine Art Abzweigungen, die jeweils eine der anderen Saiten spielen. Und diese Saite schwingt auf und ab und jedes Mal, wenn sie in Höhe, in die Position einer der Klangsaiten kommt, wird sie diese Saite anschlagen. Und das Ganze ist schon eigentlich ein recht komplexer Organismus, weil es nicht nur einen lang erzeugt, sonder auch weil es eine Art Instrument darstellt, eine Partitur, mit der sowohl Rhythmus als auch Lautstärke bestimmt wird. Das können wir uns ja mal anhören. (DEMO)

Autor

Veranschaulichen lässt sich solche Form von Partitur im Vergleich mit einem Mobile: Ein Impuls an einer beliebigen Stelle dieses eigendynamischen Systems wirkt sich auf alle anderen Elemente aus. Brümmer erläutert dieses Verfahren weiter am Beispiel eines simulierten Klavierhammers:

O-Ton Brümmer

Und um diese Repetition ein wenig unregelmäßiger zu machen , kann man ja zum Beispiel mehrere Massen an den Hammer dran hängen und die irritieren dann die regelmäßigen Bewegungen dieses Hammers (DEMO). Also hieran konnte man deutlich hören, dass die anfangs relativ regelmäßige Repetition dann so kleine Irritationen bekam, um dann immer leiser zu werden und immer mehr aus dieser periodischen Repetition heraus zu gehen.

Und das Interessante hierbei ist nicht nur der Klang und die Rhythmik, sondern auch, ich würde das Mikrorhythmik nennen, man sieht das hier an der Analyse, da ist jeder Event mit so einer Linie dargestellt und man sieht, dass manche Linien ganz nah nebeneinander sind. Das sind dann Mini-Repetitionen. Und diese Effekte, die kennt man teilweise von der Gitarre, das Schnarren einer Saite, oder dass die Saite noch mal auf und ab springt und dann so einen Zusatzton erzeugt. Und diese Effekte sind beim Spielen normalerweise nicht reproduzierbar, aber bei solch einem physikalischen Modell sind diese Effekte nicht immer steuerbar, aber sie sind reproduzierbar und man kann sie dann verändern.

Zuspiel
5:05

Ludger Brümmer: „Gestalt“, Privataufnahme des Komponisten

Autor

Jenseits künstlerischer Motive gibt es auch weit profanere Gründe, auf software-basierte Emulationen altertümlicher Hardware zurück zu greifen. In der elektro-akustischen Musik hat inzwischen die Phase historischer Aufführungspraxis begonnen und die Verwendung von über 50-Jahre alter Technologie stellt ihre ganz eigenen Fragen und Probleme, wie der Musikinformatiker Joachim Haas vom Experimentalstudio des Südwestrundfunks in Freiburg zu berichten weiß.

O-Ton Haas

Wir haben jetzt öfter alte Stücke von Stockhausen gespielt, z.B. Prozession, Mixtur, Mikrophonie. Und bei Mikrophonie, Prozession wird z.B. ein Gerät eingesetzt, das ist der Maihak W49 Hörspielverzerrer. Das ist eigentlich ein Filter mit zwei Reglern, einer für Hochpass, einer für Tiefpass und man kann dort einfach ein Frequenzband herausfiltern für einen bestimmten Klang. Dieses Gerät wiegt ungefähr 15 Kilo, ist 15cm breit und vielleicht 30 oder 40cm lang, ein Filter mit eben zwei Reglern. Das ist wahnsinnig schwer, es ist auch wahnsinnig anfällig. Während man schaltet, während man das Frequenzband ändert, dürfte man eigentlich den Ausgang gar nicht hören, weil es ein bisschen knackt. Das war schon immer so. Das ist aber von Stockhausen so intendiert. Dieses Ding hat jetzt ganz bestimmte Eigenschaften, die auch beim Spielen wichtig sind. Die Regler für die Filter sind relativ schwergängig, machen ein bisschen Geräusch, aber es hat einfach eine haptische Komponente, die extrem wichtig ist, durch die auch das Spiel bedingt ist. Wenn man diese alten Instrumente transformieren möchte in Software oder in neue Systeme, muss man schauen, wie sind sie wirklich gespielt worden. Bei dem Filter ist es dann so: diese haptische Eigenschaft müsste übertragen werden auf ein wirkliches Hardware-Interface. Also man kann jetzt nicht einfach hergehen und sagen: Wir machen jetzt neue Knöpfe oder so und es lässt sich ganz anders spielen und deswegen haben wir hier einen Entwurf mal gemacht. (DEMO) Der Filter hat jetzt 12 Stufen, der ist also nicht stufenlos regelbar, was ja eigentlich ganz einfach zu implementieren wäre heutzutage. Und er hat die Eigenschaft, dass er wirklich knackt, aber man kann eben diese beiden Knöpfe jetzt in den verschiedensten Weisen spielen. Das muss man einfach (bei Mikrophonie) lernen, wie das funktioniert. Man kann zum Beispiel ein Band wirklich ganz bewegen. Ein Frequenzband von oben nach unten.

Autor

Wieder ist es also zunächst die Achillesferse „Interface“, die jeder noch so gut gemachten Computersoftware im Wege steht. Um ein virtuelles Gerät wie sein Original spielen zu können, braucht es eine diesem entsprechende Bedieneinheit.

O-Ton Haas

Also das eine ist das haptische, das andere ist natürlich das Klangliche. Dann stellt sich jetzt eben die Frage: möchte man z.B. diese Unzulänglichkeiten auch simulieren, emulieren, oder möchte man vielleicht von denen wegkommen. Also das ist eine ästhetische Frage eigentlich, die gar nicht so einfach zu klären ist. Zum einen würde es besser werden, besser werden heißt klanglich besser werden, zum anderen gibt man aber auch viel auf, von der Aura des Geräts.

Autor

Die Ingenieure des Experimentalstudios versuchen, den Maihak Hörspielverzerrer mit Hilfe eines Faltungsalgorithmus zu emulieren. Bei diesem Verfahren, das häufig auch zur Simulation von Räumen eingesetzt wird, werden die akustischen Eigenschaften eines Signals an Ein- und Ausgang der Hardware miteinander verglichen. Aus dem klanglichen Unterschied lässt sich eine Audiodatei generieren, welche die akustischen Eigenschaften des Gerätes enthält. Diese kann man nun auf eine beliebige Klangquelle „falten“, die dadurch genau die klangliche Färbung erhält, die einem Durchlaufen des Gerätes entsprochen hätte.

O-Ton Haas

Die Idee war ursprünglich mal zu sagen, gut, man könnte ja eigentlich jedes einzelne von diesen 12 Bändern des Filters messen und dann parallel vielleicht 12 Prozesse laufen lassen, und jede Prozess simuliert ein Band. Also jedes Band gemessen, simuliert und dann je nachdem wie man den Filter spielen möchte, öffnet man verschiedene Bänder oder schließt sie. Aber sie laufen alle parallel.

Autor

Das heißt zum Beispiel: Wenn im originalen Filter drei benachbarte Bänder geöffnet sind, durchläuft das Audiosignal in der Simulation drei separate Prozessinstanzen. Und genau hier stößt man auf ein Problem: Im Original zeigt die Kurve des Filters jeweils an der oberen und unteren Durchlassgrenze eine Anhebung der Lautstärke. Und das unabhängig davon über wie viele Bänder sich die Einstellung erstreckt. Man nennt dies ein nicht-lineares Verhalten, da sich die Bänder einzeln betrachtet bei unterschiedlichen Einstellungen verschieden verhalten. In der Simulation emuliert aber jeder Prozess diese Lautstärkeanhebungen für jedes Band. Und so weicht bei der Öffnung über mehrere Bänder das klangliche Ergebnis stark vom Original ab. Hier zunächst das Orignal und gleich darauf die Simulation:

O-Ton Haas

(DEMO) Was man hört sind jetzt genau eben diese Überhöhungen an den Rändern. Also man hört jetzt schon so eine Art harmonische Struktur und die kommt durch diese Resonanzen an den Rändern der einzelnen Bänder

Autor

Eine in diesem Fall durch die Rasterung der Regler zwar denkbare aber recht unelegante Lösung wäre, alle möglichen Reglerstellungen einzeln zu falten und eine entsprechende Anzahl von Prozessen parallel starten. Allerdings geht man in Freiburg davon aus, langfristig einen besseren Ansatz zu finden. Und so lange setzt man auf die historische Hardware:

O-Ton Haas
0:26

Das Problem ist: Wir müssen ihn ersetzen. Zum einen kann man ihn jetzt nicht einfach nachkaufen, es ist ganz schwierig da noch ein Exemplar, das funktioniert, zu finden. Und diese Exemplare, die funktionieren, werden auch irgendwann kaputt gehen. Natürlich kann man die reparieren, mehr oder weniger, aber wenn dann wirklich mechanische Komponenten auch kaputt gehen, dann wird’s ganz schwierig.

Autor

Hören Sie abschließend den historischen „Maihak W49 Hörspielverzerrer“ im Einsatz bei Stockhausens „Prozession“, gespielt vom Ensemble Recherche und dem Experimentalstudio des SWR bei den diesjährigen Internationalen Ferienkursen in Darmstadt.

Zuspiel

Karlheinz Stockhausen: „Prozession“ (Ausschnitt). Interpreten: ensemble recherche, Experimentalstudio des SWR