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SWR2 JetztMusik, 17.11.2008, 23:03-24:00 Uhr
The Making Of...
Interdisziplinäre Kompositionen für die "Quantensprünge" im ZKM
Autor: Michael Iber
Autor
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„The Making Of“ – Über die Entstehung interdisziplinärer Kompositionen für die „Quantensprünge“, einer Kooperation
zwischen der Internationalen Ensemble Modern Akademie aus Frankfurt und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie, kurz ZKM, in Karlsruhe – Eine Sendung von und mit Michael Iber. Es wirken mit: Ludger
Brümmer, der Leiter des Instituts für Musik und Akustik im ZKM
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O-Ton Brümmer
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Quantensprünge ist ein Festival, das wir zusammen mit der IEMA, der Internationalen Ensemble Modern Akademie
durchführen. Eine Kooperation, in der die Studenten der IEMA Stücke, die sie entweder aufgeführt haben oder speziell für diese Konzertreihe einstudieren, hier im ZKM im Kubus aufführen.
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Autor
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Christiane Engelbrecht, Geschäftsführerin der IEMA.
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O-Ton Engelbrecht
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Gegründet wurde die Akademie 2003. Die Idee dazu ist im Ensemble Modern aber schon lange vorher gewachsen. Also
als ich vor neun Jahren zum Ensemble Modern gekommen bin, da ist das immer schon mal in den Köpfen der Mitglieder des Ensemble Modern herumgespukt. Diese Idee, all das, was sich so beim Ensemble Modern
angesammelt hat, eben nicht schriftlich fixiert ist, an Aufführungspraxis, am Umgang mit bestimmter notierter Musik, all diese Dinge weiter zu geben.
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Autor
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Michael Kasper, künstlerischer Leiter der IEMA
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O-Ton Kasper
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Ein Komponist, der bei der Akademie sich ein Jahr aufhält, hält sich auch beim Ensemble
Modern auf. Das heißt, ich denke, der Komponist ist vielleicht auch bei der ein oder anderen oder bei vielen Proben des Ensemble Modern dabei. Das gehört ganz genauso dazu. Da kann man extrem viel lernen, wenn
man sich die Partituren nimmt von dem Stück, das gerade gespielt wird und dann schaut, wie wird das realisiert, was passiert da.
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Autor
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Und schließlich die Komponisten der neuen Werke: der Kanadier Julien Bilodeau, der auf dem Festival im Oktober
gleich mit zwei neuen Stücken vertreten war ...
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O-Ton Bildodeau
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I come from Canada. I come from the East part of Canada, which is the French speaking part, the only one, really in Canada, which is called
Quebec. And I am born actually in Quebec City, which is the capital of this area. I am now 33 years old and I get into music, I would say, mainly because of the disc and the music, that was played at home. I
don’t come from a musical family.
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Sprecher
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Ich komme aus dem östlichen, dem französisch sprechenden Teil Kanadas, aus Quebec. Geboren wurde ich in Quebec
City, der regionalen Hauptstadt. Ich bin 33 Jahre alt und zur Musik fand ich hauptsächlich über die Platten, die bei mir zu Hause liefen. Musik spielte aber keine allzu große Rolle in meiner Familie.
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Autor
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Sowie der in Karlsruhe lebende 29-jährige Komponist Vito Zuraj aus Slowenien.
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O-Ton Zuraj
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Ich habe in Slowenien mein Grundstudium Komposition abgeschlossen. Danach führt mein Weg
nach Deutschland. Zuerst nach Dresden, wo ich erst nach einem Austauschjahr im Rahmen vom Erasmus-Austauschprojekt Aufbaustudium gemacht habe bei Professor Lothar Voigtländer aus Berlin. Nachdem das
Studium auch abgeschlossen war, habe ich mich angemeldet in Karlsruhe und wurde aufgenommen in die Meisterklasse von Professor Rihm an der Musikhochschule. Und momentan studiere ich Musikinformatik, so
eine Art Musikwissenschaft mit Multimedia und Computer verbunden. Und mit meiner Masterarbeit werde voraussichtlich im Herbst fertig.
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Autor
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Vor mehr als 30 Jahren gründete Pierre Boulez das Ensemble Intercomtemporain in Paris und löste damit einen regelrechten Boom von Ensembles aus, die sich auf Neue Musik spezialisierten. Dieser hatte nachhaltige Folgen für die zeitgenössischen Musiklandschaft: Denn einerseits motivierten die äußerst flexiblen Ensembles zahlreiche Kompositionsaufträge angefangen bei Solostücken bis hin zu mittelgroßen Orchesterbesetzungen, andererseits mussten sie mit ihren zunächst meist geringen öffentlichen Förderungen marktorientiert arbeiten und sich ein neues Publikum erschließen. Vorreiter in Deutschland war das Ensemble Modern, zu dem sich 1980 einige Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie zusammengeschlossen hatten. Nicht nur mit seiner basisdemokratischen Struktur, bei der die Musiker als Gesellschafter an wichtigen Entscheidungen beteiligt sind, ging das Ensemble neue Wege, auch für medien- und öffentlichkeitswirksame Projekte bewies es von Anfang an einen guten Instinkt.
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O-Ton Engelbrecht
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Das Ensemble ist 27 Jahre alt. Es gibt noch einige Mitglieder tatsächlich aus der Anfangszeit
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O-Ton Engelbrecht
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Aber einige Positionen werden im Grunde jetzt tatsächlich seit 4, 5, 6 Jahren neu besetzt. Es gibt im Moment immer
noch 3 Vakanzen. Und da rückt eine andere Generation nach. Und das Ensemble hat sozusagen innerhalb seines Klangkörpers festgestellt: hier muss ein Gedächtnis weitergegeben werden. Oder neue Kollegen müssen wir
in unsere Musiksprache einbinden. Dann kam eben die Idee, überhaupt, wie können wir das, was wir erlebt haben, das was wir zu vermitteln glauben, weitergeben. Also es war jetzt gar nicht so dieses: an den
Musikschulen findet keine zeitgenössische Musik statt. Oder wird nicht gelehrt. Das ist gar nicht so, sondern es war wirklich der eigene Anspruch, das eigene Gedächtnis weiter zu geben.
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O-Ton Brümmer
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Und innerhalb dieses Festivals gibt es jetzt 2 neue Entwicklungen. Die eine ist, dass die Ensemble Modern Akademie
auch 2 Komponisten in die Gruppe aufnimmt. Und wir 2 Komponisten für das Ensemble komponieren lassen. Das heißt, es werden 3 oder 4
Werke speziell für dieses Quantensprünge-Festival neu konzipiert und geschrieben. Und dann von den Ensemblemitgliedern eingeprobt.
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O-Ton Engelbrecht
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Dieses Modell, das sehr gut angekommen ist, es bewerben sich immer mehr Leute, es scheint wirklich ein Bedarf zu
sein. Leute interessieren sich dafür, direkt nach ihrem Studium jetzt noch was Spezielles anzuhängen. Und seit einem Jahr wird dieses Studienprogramm gemeinsam mit der Musikhochschule in Frankfurt als
Masterstudiengang angeboten. Das heißt, im Moment können wir 14 Plätze finanzieren mit einem Stipendium, das ausgegeben wird an die Musiker und eben auch diesem ganzen Lehrbetrieb und Konzertbetrieb, um den auch
finanzieren zu können. Und jetzt könnte man den Gedanken weiterspinnen und sagen, eine ideale Größe wäre eigentlich, wenn man eine Abbildung des Ensemble Modern 1:1 hätte, also 18, 19 Instrumentalisten und
einen Klangregisseur.
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O-Ton Zuraj
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Die Vergabe des Stipendiums, das war eigentlich überraschend. Ich wurde vom ZKM
angerufen am Tag des ersten Konzertes der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Und da wurde mir vorgeschlagen, einfach mich mit der Organisation zu treffen und darüber zu sprechen. Das war alles an einem
Tag , war ein schönes Geschenk, ich habe mich sehr gefreut, dass ich da mit machen kann und ich habe eine Besetzung vorgegeben bekommen, ich kann auswählen, welche Instrumente ich benutze, entweder die ganzen
oder ein paar nur solo. Aber Hauptsache, dass dazu kommt die Elektronik.
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O-Ton Bilodeau
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I mean, if I have a commission from an ensemble or a little group, I wouldn’t have the
try-outs normally. So I say to myself, well I have try-outs, which is more than what I usually can expect.
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Sprecher
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Wenn ich einen Auftrag von einem Ensemble oder einer kleinen Gruppe bekomme, dann kann ich normalerweise nichts
ausprobieren. Die Möglichkeit von Try-Outs ist mehr, als ich gewöhnlich erwarten kann.
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O-Ton Kasper
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Grundsätzlich ist es so, dass den Komponisten alle Musiker jederzeit zur Verfügung
stehen. Und zwar sowohl die Musiker des Ensemble Modern, jeder einzelne, als auch die Musiker des Studienganges, der Akademie. Alles Komponisten stehen, wie gesagt, Try-Outs zur Verfügung, wenn sie Stücke machen
wollen, das heißt, sie können mit Skizzen und mit Bruchstücken einfach proben, indem sie – ja ein Konzept sollten sie haben – aber dann können sie wirklich ausprobieren. Das steht ihnen zur Verfügung als auch
dann die Endproben.
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Autor
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Was hier geradezu paradiesisch klingt, hat in der Realität einen entscheidenden Haken, besonders was Stücke mit
live-elektronischen Elementen anbelangt: Für diese bräuchte es nämlich eine erhebliche technische Infrastruktur, über die weder das Ensemble Modern selbst noch die Akademie verfügen. Die Kooperation mit dem
diesbezüglich gut ausgestatteten ZKM öffnet da zwar neue Möglichkeiten, eine direkte Zusammenarbeit mit den Instrumentalisten vor Ort in Karlsruhe ist aber in der Regel auf die Endprobenphase beschränkt. Die
Programmierung der Elektronik und die Proben mit den Musikern bleiben so bis kurz vor der Aufführung getrennt.
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O-Ton Zuraj
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Ich habe auch Gelegenheit im ZKM zu arbeiten. Ich habe einen Termin im August
ausgemacht, wo ich einen Raum bekomme und entweder mit vielen Boxen arbeite oder halt programmiertechnisch – es ist mir überlassen, wie ich die Zeit nutze. Das ist nach der ersten Probewoche.
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O-Ton Bilodeau
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And I oftenly think about theatre, where for a single piece, I mean, you can rehearse 2
month. And the other thing they are doing, which is great, is that they are not playing it once, they are playing it for 2 weeks.
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Sprecher
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Ich vergleiche das oft mit dem Theater, wo ein einzelnes Stück zwei Monate geprobt wird. Und außerdem ist es
großartig, dass da ein Stück nicht nur ein einziges Mal, sondern zwei Wochen lang gespielt wird.
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O-Ton Zuray
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Es gibt eine Art Probewoche, die wird im Juli sein, wo ich dann das meiste oder einen
Teil des Stückes schon fertig habe und dann den Musikern geben kann, dass die ausprobieren können und sagen, ja guck mal da, da kannst Du noch was machen oder das ließt sich besser so, wenn Du so etwas machst
oder wenn ich sehe, ja da ich noch die Form korrigieren. Und dann kommt dann meine Endarbeitsphase und das Stück möchte ich bis Ende des Sommers dann spätestens abgeben. Also August habe ich gedacht.
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O-Ton Bilodeau
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So this ZKM is going to be interesting. One month at least I will have a concrete field
to work with.
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Sprecher
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Ja, das mit dem ZKM wird interessant werden. Ich werde da mindestens einen Monat lang arbeiten.
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O-Ton Zuraj
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Aber die Elektronik, wenn die selber entsteht, da brauche ich keine Diskussion mit
Instrumentalisten, da genügen oft Telefonanrufe mit dem Tonmeister, „was hast Du für Technik, was kann ich da benutzen“.
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Autor
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Eine solche „benutzbare“ Technik ist der Klangdom im Konzertsaal des ZKM,
dem sogenannten „Kubus“. 47, in Form einer Halbkugel angeordnete Lautsprecher ermöglichen eine musikalische Raumgestaltung auf höchstem Niveau. Für die Steuerung dieser Konstruktion entwickelte das ZKM die
Software Zirkonium, die in
zweierlei Hinsicht benutzerfreundlich ist: Zum einen erlaubt sie eine weitestgehend intuitive Klangverteilung im Raum. Zum anderen berücksichtigt sie, dass den Komponisten im Kubus selbst nur wenig Zeit für die
Ausarbeitung ihrer Stücke zur Verfügung steht. Und so lässt sich das Zirkonium zum Ausprobieren an beliebige Lautsprecher-Umgebungen anpassen.
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O-Ton Bilodeau
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We have been there once in the Kubus. I was quite amazed. You told me about it, but I
didn’t know. And so I was very curious about this idea of for example this very simple idea for the moment I am working with Doppler-effect and things like that, but it seems, that you can really move the sound
very precisely. But one has to have the opportunity to experience it in real context.
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Sprecher
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Wir sind jetzt einmal im Kubus gewesen und er hat mich sehr beeindruckt. Sie hatten mir davon erzählt, aber davor
wusste ich nichts davon. Deshalb war ich sehr neugierig, wie zum Beispiel einfache Ideen, wie ein Doppler-Effekt funktionieren. Anscheinend kann man Klänge sehr genau im Raum bewegen. Aber das man muss im realen
Kontext ausprobieren.
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O-Ton Zuraj
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Ich sehe da eine Möglichkeit etwas größeres Ensemble, ich meine größer ist so 5 bis 7
Leute, mit Elektronik zu mischen. Das habe ich in so einem Ausmaß bisher nicht gemacht. Ich habe ein Stück für Chor, Elektronik und Orgel gemacht. Aber so mehrere Instrumente mit verschiedenen Farben mit
Elektronik zu komponieren, das wird zum ersten Mal. Und da möchte ich schon ziemlich früh mit der Arbeit anfangen. Die Auswahl der Instrumente steht noch nicht ganz fest, ob ich das ganze Ensemble nehme oder
vielleicht ein paar Instrumente nicht. Aber auf jeden Fall nehme ich das japanische Instrument Koto. Morgen fahre ich nach Frankfurt, um mit der Spielerin das Instrument kennen zu lernen, sage ich mal so
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Autor
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Zu den institutionellen Rahmenbedingungen „Instrumentalisten“ und „Klangdom“ gesellte sich bei diesen
„Quantensprüngen“ noch eine eher exotische hinzu, die jedoch beide Komponisten gerne in ihre Stücke mit einbezogen: Mit Naoko Kikuchi war eine Koto-Spielerin Gastteilnehmerin der Internationalen Ensemble Modern
Akademie, die nicht nur in der traditionellen japanischen Musik zu Hause ist, sondern auch über Erfahrung im Umgang mit Neuer Musik verfügt.
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O-Ton Zuraj
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Ich sehe Koto als eine Bereicherung des Klangfarbeninstrumentariums, das mir zur Verfügung steht. Ich weiss über
dieses Instrument recht wenig momentan. Theoretisch schon aus den Büchern, aber das Praktische ist
immer etwas anderes. Und ich verspreche mir schon viel von dem Treffen in Frankfurt und möchte jetzt möglichst viel an einem Tag mitnehmen. Und dann in mir bearbeiten und dann die Idee spontan wachsen lassen. Und wenn ich dann noch weitere Fragen habe, dann kann ich mich immer melden oder mich mit anderen Musikern in Verbindung setzen.
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O-Ton Zuraj
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Was die Elektronik betrifft, habe ich die Möglichkeit, den Klangdom im ZKM zu benutzen
und da muss ich mich mit der Software Zirkonium noch etwas auseinandersetzen. Ich habe auch die Möglichkeit die räumliche Komponente selber zu gestalten oder dann zu kombinieren ....
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Autor
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Vito Zuraj nutzte diese Möglichkeit und programmierte für Teile seines Stückes eine eigene Software. Im Konzert
setzt er dann für die klangliche Raumverteilung zwei handelsübliche – von Assistenten zu bedienende - Joysticks ein. Wie Bilodeau zählt auch er zu jenem Typus Komponist, für den Programmieren Teil des
kompositorischen Handwerks ist und zur Realisierung einer Idee selbstverständlich dazu gehört.
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O-Ton Bilodeau
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When I came here in Europe I saw two main ways of doing things. The first one in Paris,
where composers don’t touch the electronics, I am talking about not the people belonging to the Schaeffer things, of course they are dealing with it. But live-electronics. Manoury for example, Boulez for
example, or Levinas, many, many composers they use it, but they don’t touch it. So they have an engineer with them. They have what they call an „assistent musicale“. So they come to this guy and they say, my
idea is to do that, that, that ... Can you do that for me? Can you program it? And assistant musical is working like hell to make it run. So it’s very interesting, because it focuses on the fact that you need an
idea
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Sprecher
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Als ich nach Europa kam, konnte ich zwei Methoden beobachten, wie man an die Dinge heran ging. In Paris legen die
Komponisten bei der Elektronik nicht selbst Hand an. Ich meine da nicht die Leute aus dem Umfeld von Schaeffer. Die machen das natürlich selbst. Nein, ich meine bei der Live-Elektronik: Manoury zum Beispiel,
oder Boulez oder Levinas oder viele, viele andere Komponisten. Sie setzen Elektronik ein, aber sie fassen sie nicht an. Also brauchen sie einen Toningenieur, einen sogenannten musikalischen Assistenten. Zu dem
gehen sie hin mit ihrer Idee und fragen, ob er das realisieren und programmieren kann. Der Assistent muss dann oft sehr erfinderisch sein, um das umsetzen. Das Interessante an diesem Vorgehen ist, dass es
voraussetzt, dass man eine Idee hat.
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O-Ton Zuraj
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Es gibt, sag ich mal, Komponisten, die sich intensiv mit elektronischer Musik
beschäftigen, so dass sie selber die Programme entwerfen, die Mittle entwerfen, womit sie komponieren. Es gibt andererseits auch Komponisten, die Klangvorstellungen haben, technisch sich nie intensiv damit
beschäftigt haben und da brauchen sie eine Assistenz, eine Hilfe, dass die Klänge, die in ihrer Vorstellung sich bilden, auch in der Realität erklingen. Ich gehöre eigentlich zu der ersten Gruppe, die schon viel
mit Programmierung gemacht hat, viel ist immer relatives Wort, aber ich habe schon ein paar Kompositionen, hinter mir und ich fühle mich in dem Bereich so sicher, dass ich da keine Assistenz beim
Komponieren brauche. Was anderes ist dann die Beschallung und die Kombination mit Instrumentalisten bei der Aufführung.
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O-Ton Zuraj
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Im Zirkonium kann man wählen, wie man eine Quelle verräumlichen, was für eine Fläche von
Lautsprechern man dabei benutzen möchte. Das jetzt zum Beispiel ist nur ein Punkt, das im Raum wandert. Ich mache mal ein bisschen lauter, sonst bekommt man nichts mit, so, ok. Das wäre jetzt eine ziemlich
enger Bereich, also es klingt fast nur immer ein Lautsprecher. Ich kann hier einen Bereich erweitern. Und da sind die Übergänge glätter. Ich möchte hier jetzt einen Klang mal vorstellen, so als einen Eindruck.
Einen von den Klängen, die in der Partitur schon stehen. Das ist jetzt wirklich alles in Arbeit, sieht man, wie man damit umgeht, wenn man komponiert. Auf dieser Basis verläuft dann erstmal das Komponieren der
Räumlichkeit und auch die Aufführung: Ich habe eine Partitur vor mir, folge dem Dirigenten, werde dann per Tastatur oder per
Pedal die Klänge der Reihe nach auslösen und die dann verräumlichen. Selten kommen zwei Klänge auf einmal, oder die sind dann schon so programmiert, dass sie eins ins andere übergehen und in einer Klangdatei abgespeichert sind.
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O-Ton Zuraj
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Klavier klingt verstimmt. Und ich finde sehr interessante Kombinationen von Frequenzen,
die sich dabei ergeben. Und mit denen komponiere ich auch. Das heißt, es gibt einen Pianisten in der Besetzung, der spielt halt auf Keyboard, und Klang ist entweder verstimmtes Klavier oder es erklingen sehr
kurze Klangeffekte, die auch auf die Klaviatur gesetzt sind. Die Basis dafür sind kurze Schlagzeugeffekte, die dann bearbeitet werden. Und das ist die zweite Ebene, die der Pianist spielt, und er
schaltet mit dem Pedal zwischen den beiden. Das Stück – wäre vielleicht gut zu erwähnen - heißt „Crosscourts“ Das ist ein Begriff aus Tennis. Ich bin ein leidenschaftlicher Tennisfan und spiele das Spiel schon seit Jahren, ich bin da kein großer Meister, aber ich hab’ da halt meinen Spaß damit. Und Anfang von diesem Jahr habe ich eine Serie von Stücken begonnen, deren Titel aus Tennisbranche sind. Ein Stück für Saxofon und Schlagzeug trägt den Titel „Deuze“, Einstand. Das jetzt heißt „Crosscourts“, das ist ein Diagonalball, das ist, das kann ich jetzt ziemlich schön an der Verräumlichung zeigen, wenn ein Ball von der linken Seite hinten nach vorne rechts gespielt wird, oder umgekehrt. So dass bestimmte Instrumentengruppen gegeneinander spielen, einzelne Instrumente oder Instrumentengruppen, die auf andere aufprallen, kompositorisch, oder auch in diese Sinne, dass die Elektronik gegen die Instrumente spielt. Also Gegenpole.
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O-Ton Zuraj
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Das Stück beginnt mit einem pulsierenden Klang in der großen Trommel. Schlagzeugklänge, die dann zu Glissandi in
den Streichern führen und gleich danach hört man die erste Elektronik. Das sind Klänge vom Keyboard gesteuert, schlagzeugartige, sehr kurze Klänge, die im Raum durch einen Joystickassistenten verteilt werden.
Dem Abschnitt folgt ein Teil, in dem Koto und Klavier ein Dialog spielen.
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O-Ton Zuraj
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Koto und Klavier spielen so wie ein Kontrapunkt zwei Stimmen. Ist aber eigentlich
Klavier die wichtigste davon. Und wird verräumlicht von Joystickasstistenten ...
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O-Ton Zuraj
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Aber Klavier ist eine Ausnahme, das steht auf der Bühne links und hat selber 2
Lautsprecher, das in Ensemble ganz normal als Ensembleinstrument mitspielt, wird aber auch verräumlicht und bildet so ein Raumspiel.
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O-Ton Zuraj
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Die Bläser fungieren hier als ein Block, als ein Instrument, als ein Register. Dazu habe
ich noch die beiden Streicher gesetzt, Geige und Cello. Und dieses Sextett bildet sechsstimmige Akkorde, die strikt im Unisono gespielt werden ...
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O-Ton Zuraj
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Und dieser zweite Teil geht dann in den Abschlussteil über, wo ich mit Spektraltönen
über bestimmte Stimmungen spiele. Ich beginne mit Spektraltönen auf d. Und der ganze Abschnitt wird in drei Stufen geführt, wobei die Stimmung transponiert: d, es und e. Das ist aber so komponiert, dass es nicht
unbedingt stufenweise zu erkennen ist. Wer ist kennt: Klang wird heller, weil es nach oben transponiert. Die Elektronik ist eine Zuspieldatei, die ich dann als der zweite Joystickassistent verräumliche und diese
Datei, die transponiert langsam allmählich, so dass man dort keine Stufen erkennt. Im ersten Teil, also auf d, das ist der längste, da wird die Struktur zur Transposition so gebracht, dass die Instrumente zu
einem Akkord kommen.
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O-Ton Zuraj
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Dann könnte man sagen, kommt so ein Teil, in dem etwas Material vom ersten Teil
angedeutet wird, es wird aber nicht viel entwickelt und übergeht in vierteltönige Strukturen in den Bläsern. Die wird dann zu Ende des Stücks in eine spektrale Harmonik geführt, wo sich vier Töne in den Bläsern
mit vier Tönen in den Streichern verschmelzen, die werden so „gefadet“, würde man sagen in der Elektronik. Und es spielt eine Elektronik in sehr hohen Frequenzen dazu ....
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O-Ton Bilodeau
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The piece is 20 minutes long. And as I said because of the choice of the writing and the
choice of the parameter I am decreasing in terms of a it gives a piece which is very slow and very soft.
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Sprecher
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Das Stück dauert 20 Minuten. Und wie gesagt, aufgrund der Auswahl an kompositorischen
Parametern ist es sehr langsam und leise.
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O-Ton Bilodeau
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So the title of the piece is „Inks“. So it’s just two groups of two letters, actually,
„in“ which is related to „inside“ or „interior“ or „intimate“, something like that. And „ks“ because this piece is kind of a memory for Stockhausen, because I had this great chance to meet him in 2002 and 2003,
and it was a big help for me in my process of writing music, and so he sadly died last year. And the funny thing is that the way
put those letters makes the sound „inks“, which is quite percussive, and quite active. And I think it’s interesting because it doesn’t give any clue of what you’re gonna listen. Because „inks“ if you think about what kind of music be behind this word, well then, when you listen the piece you kind of not really were you were expecting it. I mean that’s how I feel it. So for me it was one of the reason why I put those letters in this order.
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Sprecher
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Der Titel des Stückes ist „Inks“. Er setzt sich aus zwei Gruppen von jeweils zwei Buchstaben zusammen: „in“
bezieht sich etwa auf „innen“ oder „intim“. Und „ks“ ist eine Referenz an Stockhausen. 2002 und 2003 hatte ich die Gelegenheit, ihn zu treffen, und das hat mich in meiner Entwicklung sehr viel weiter gebracht.
Das Bemerkenswerte an der Kombination dieser Buchstaben ist, dass sie ziemlich perkussiv und lebendig klingt, aber trotzdem keinerlei Hinweis darauf gibt, was für eine Musik dahinter steckt.
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O-Ton Bilodeau
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The general idea for that piece is to bring space as a parameter, a musical parameter
which is equal or even stronger than the other one. And for that matter right away in the writing of the music, like I mean writing the note and the duration this idea of the space as a big parameter
implies that you have to get less complicated in the other parameter.
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Sprecher
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Hinter dem Stück verbirgt sich der Grundgedanke, Raum als einen Parameter ins Spiel zu bringen, der ebenso stark
oder sogar stärker ist als die anderen. Das führt dazu, andere Parameter, wie Tonhöhe und -dauer weniger kompliziert zu gestalten.
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O-Ton Bilodeau
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So it’s a piece, which is very, very soft. And there is long duration. And those
decisions are made really as a constraint for writing of course, because you can do nice music with those constraints, but
also to give a space to the space parameter. So it can be perceived and followed, which is very important. This is the main characteristic you see in the score.
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Sprecher
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Es ist also ein sehr, sehr leises Stück mit langgezogenen Tönen. Solche Entscheidungen schränken natürlich das
Schreiben ein, aber man kann trotzdem sehr schöne Musik damit komponieren. Vor allem aber schaffen sie Raum für den Parameter „Raum“, so dass man ihn wahrnehmen und ihm folgen kann. Das ist sehr wichtig und das
Charakteristische der Partitur.
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O-Ton Bilodeau
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I am not using any spectral distortion, granular synthesis etc, all of this boxes of
effect, which apply more on the timbre ....
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Sprecher
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Ich benutze keine spektralen Verzerrungen, Granularsynthese oder sonstige Effektwerkzeuge, die das Timbre des
Klangs prägen ...
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O-Ton Bilodeau
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Because I found that – I might change my mind later on – but I just found that it kind
of gives to a composition a really, really definite colour. And when I listened to the work I’ve done with electronics and which are using timbre modification the excitement I had at the beginning with a new
timbre, goes away quite, quite fast. And as well, when you listen to „Gesang der Jünglinge“ it’s a great piece, but it’s very fixed in time. It doesn’t, it cannot move on as for example a piece of the same time,
the Klavierstücke. They are still alive. When I listen to Klavierstück 9 there is something very live in it
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Sprecher
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... weil ich denke, dass – aber vielleicht ändere ich später meine Meinung wieder – dass sie der Musik eine allzu
eindeutige Farbe geben. Wenn ich Stücke von mir wieder höre, die mit Klangfarbenmodifikationen arbeiteten, dann ist von dem Enthusiasmus, den ich Anfangs mit den neuen Timbres hatte, nichts mehr übrig. Auch wenn
man den „Gesang der Jünglinge“ betrachtet: es ist ein großartiges Stück, aber es wirkt sehr statisch. Es entwickelt sich nicht.Und es kann sich nicht entwickeln im Gegensatz zu den gleichzeitig entstandenen
Klavierstücken etwa. Sie sind immer noch lebendig.
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O-Ton Bilodeau
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Well, Manoury was very much involved into live electronics. And he did great research,
he really did improve this field of knowledge. And he is doing a lot of timbral transformation. Just a reverb for example, but again it’s this kind of effect, which is live, still sounds like late 80s or early
90s. And it’s a little bit more lively than „Gesang“, but still, it’s stick to the 90s, you see
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Sprecher
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Manoury hat sich sehr mit Live-Elektronik beschäftigt und einiges auf diesem Gebiet erforscht. Er verwendet häufig
timbrale Klangtransformationen, wie z. B. einen speziellen Hall. Aber obwohl es sich um Live-Elektronik handelt, klingt dieser Effekt immer nach den späten 80ern oder frühen 90ern. Das wirkt vielleicht ein
bisschen lebendiger als der „Gesang“, trägt aber deutlich den Geruch der 90er.
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O-Ton Bilodeau
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So I was aware of that like a few month ago or few weeks ago I would say. And I’m still
really preoccupied about this issue. So now I want to use it as I said as a slave, I don’t like the word, I don’t find any other one. But slave to my language and to use it only for the parameter of time and
space so in a way there is no signature of the time I am doing it except in the language itself.
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Sprecher
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Ich bin mir dieses Problems erst seit einigen Monaten oder Wochen bewusst. Und es
beschäftigt mich immer noch sehr. Deshalb möchte ich Elektronik jetzt als Sklaven einsetzen. Ich mag das Wort nicht, aber mir fällt kein passenderes ein. Als Sklave, allerdings, meiner eigenen Sprache,
ausschließlich im Rahmen der Parameter Zeit und Raum. So wird es am Ende keine klanglichen Signaturen der Epoche geben, in der das Stück entstanden ist.
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O-Ton Bilodeau
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There is two main things I am working on. It’s the time and the space. Which means that I don’t want to use timbre
effect, transforming the timbre and things like that. And when I am thinking about time and space it’s very simple it means that you can do different rhythmic patterns or apparitions or synchronisation just by
using simple delays like that. But the way you are using it in correspondence with the writing is important. So that’s a time, there is a new flexibility with timing. So that’s the first and the second thing is
about space. Mainly about doubling or trippling the position of a musician.
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Sprecher
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Im Moment beschäftige mich hauptsächlich mit zwei Dingen: mit Zeit und Raum. Das heißt,
dass ich keinerlei Klangfarbentransformationen verwende. Wenn ich über Zeit und Raum nachdenke, komme ich zu sehr einfachen Ergebnissen: Man kann verschiedene rhythmische Muster, Erscheinungen oder
Synchronisationen durch einfache Delays erzeugen. Die Art, wie man sie in Bezug zu den notierten Tönen einsetzt ist entscheidend. So entsteht eine größere zeitliche Flexibilität. Was den Raum angeht, so denke
ich vor allem daran, die Positionen der Musiker zu verdoppeln und zu verdreifachen.
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O-Ton Bilodeau
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You imagine a circle, right. And the public is in the middle of the circle. And in that piece we have nine musicians so we have for example on the front of you we have Klavier 1, which is on the
stage. And then you move 45 degrees approximately and you have a saxophone soprano, and then on the right side you have a cello and rear right you have trumpet and then rear you have Klavier 2 and the rear left
you have clarinet and left you have violin and front left you have flute.
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Sprecher
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Stellen Sie sich einen Kreis vor. Das Publikum ist in der Mitte dieses Kreises. In dem
Stück gibt es 9 Musiker, frontal steht Klavier 1, bei ungefähr 45 Grad das Sopranino, dann weiter das Cello, die Trompete rechts hinten, direkt hinten Klavier 2, dann Klarinette, Geige und vorne links die Flöte.
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O-Ton Bilodeau
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What I do with the electronic for specialisation is very simple. There is two main things: the first thing is to
shift actually the position of the real musician to another place. So at the beginning on the first zero position for example a group of speakers which is right above the let’s say piano one plays piano one. And
each instrument according to their place got their amplification. And then the electronic allows me to make a switch of these 8 instruments moving altogether to left to right.
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Sprecher
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Das Prinzip meiner Verräumlichung ist sehr einfach: es gibt zwei Optionen: die eine ist,
die tatsächliche Position des Musikers zu verschieben. Am Anfang gibt eine Lautsprechergruppe direkt das Spiel des sich darunter befindenden Instrumentes wieder, zum Beispiel Klavier 1. Jedes Instrument wird auf
seiner Position verstärkt. Mithilfe der Elektronik kann ich dann alle diese Instrumente zusammenfassen und im Lautsprecherkreis nach links und rechts bewegen.
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O-Ton Bilodeau
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Another thing is to discretely change the relation. So for example flute one is front left, but the projection
would be for example rear right at the opposite.
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Sprecher
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Eine andere Möglichkeit ist die, einzelne Positionen zu trennen. Dann ist zum Beispiel Flöte 1 vorne links, ihre
Projektion aber hinten rechts.
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O-Ton Brümmer
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Und die zweite Sache ist die, eine szenische Aufführung, die bei dem Septemberfestival, also einmal im Jahr
stattfindet.
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Autor
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Und das war diesmal die Musiktheaterproduktion “NM”, eine Gemeinschaftsarbeit von Matthias Mohr und Julien
Bilodeau. Mohr, der schon mehrfach mit Mitgliedern des Ensemble Modern zusammengearbeitet hat, beschloss mit diesem Stück sein Studium bei Heiner Goebbels am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in
Giessen.
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O-Ton Bilodeau
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It’s in the Media Theatre, which is a black box with nothing, very dry, nothing,
nothing. So everything should be created. And we are at a early stage because now we are discussing with the stage director, what ideas he wants to develop, I mean, extra-musically speaking. And we are dealing
with the idea of identity and double and being at one place but being heard at another. He is in the philosophical field thinking about an idea developed by Beckett or „Time“ by Henri Bergson. I am kind of
waiting again, we met once and we had this kind of brainstorm-thing ....
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Sprecher
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Es ist im Medientheater, einer schwarze Box mit Nichts drin, sehr trocken ... Wir müssen also alles neu schaffen
und sind noch ganz am Anfang einer Diskussion mit dem Regisseur, welche Ideen er entwickeln möchte. Ich meine außermusikalische Ideen. Wir spielen mit Gedanken über Identität und Verdopplung, jemand befindet
sich zum Beispiel an einer Position, wird aber von einer anderen gehört. Beckett und Henri Bergson spielen da eine Rolle ...
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Autor
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Im Zentrum des Stückes steht die Choreographie aus Becketts später Fernsehproduktion für den SWR „Quadrat“.
Manisch läuft eine Gruppe von Kapuzenmenschen Koordinaten eines Quadrates ab. Umrahmt wird dieses Nichts, das in seiner sturen Virtuosität nicht Nichts sein darf, von einer Folge installativer Bilder angelehnt
an Henri Bergsons, der 1903 in seiner „Einführung in die Metaphysik“ schrieb:
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Sprecher
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Es ist eine Aufeinanderfolge von Zuständen, von denen jeder den folgenden ankündigt und den vorhergehenden in sich
enthält. In Wirklichkeit bildet sich erst eine Vielheit von Zuständen, wenn ich sie überholt habe und mich nach rückwärts wende, um ihre Spur zu beobachten.
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