Beitrag: next generation, 3.“Internationales Treffen der Elektronischen Hochschulstudios“ vom 10.6.-14.6.2009 im ZKM in Karlsruhe

Für SWR2 Musik aktuell

Autor: Michael Iber

Kurz vor seinem Tod 1966 prognoszierte der Dirigent Hermann Scherchen: „Ich erwarte ALLES von der zukünftigen elektronischen Klanggestaltung, nichts aber von unserer elektronischen Musik“. Wie kaum ein zweiter hatte er sich zeitlebens für zeitgenössische Musik eingesetzt. Er gilt als einer der Pioniere des Rundfunks und mit seinem privaten Experimentalstudio im Schweizerischen Gravesano hatte er ab Mitte der 50er Jahre auch eine Plattform für elektronische Musik geschaffen. Deren mühevolles Zusammenkleben von Tonbandschnipseln und zeitaufwändige Schichtungen synthetischer Klänge hielt er der „konstruktiven Kraft“ menschlicher Intelligenz jedoch schlichtweg für unangemessen. Wenn schon elektronische Musik, so stellte er fest, dann bedürfe es zumindest einer Ausbildung, die in ihrer fachlichen Qualifikation und handwerklichen Kompetenz einem Instrumentalstudium in nichts nachstehe.

Inzwischen, eine knappe Jahrhunderthälfte später, hat sich einiges getan: So gut wie jede Musikhochschule verfügt über ein elektronisches Studio und man könnte vermuten, dass die dort vermittelte elektronische Musik einen entsprechenden Stellenwert in unserer heutigen Kulturlandschaft einnimmt. Dem ist aber nicht so. Selbst innerhalb der Hochschulen führen die Studios als Division der ohnehin unterprivilegierten Kompositionsstudiengänge eine vernachlässigte Existenz. Dieser Umstand hat Ludger Brümmer, Leiter des Instituts für Musik und Akustik am Karlsruher ZKM, vor 4 Jahren zur Organisation eines „Internationalen Treffens der elektronischen Hochschulstudios“ veranlasst.

1. (O-Ton Brümmer) Wir haben Konzerte, wir haben Installationen. Sie ist in Bühnenmusiken präsent, in der Videokunst, im Kino. Überall gibt es eigentlich elektronische Musik. Sie ist omnipräsent. Im Grunde genommen verdiente sie eine viel bedeutendere Rolle auch in der Ausbildung und somit liegt die Verantwortung der künstlerischen Ausbildung auf den Schultern der elektronischen Studios. Und diese Verantwortung wiegt sicherlich sehr schwer. Also dieses Festival die Isolation innerhalb der Hochschulen auflösen und eben die Arbeit der Studios einer Presse, einer Öffentlichkeit sichtbar machen, aber sie soll auch eine Art Messe sein, auf der Ideen  präsentiert werden und Studenten und Hochschullehrer diese Ideen miteinander austauschen und diskutieren können, Hochschullehrer aber auch ihre didaktischen Ausbildungskonzepte miteinander tauschen können. Also es soll so ein Stück Verbesserung der Ausbildungssituation liefern. Es soll auch ein Gemeinschaftsgefühl für diese Kunst und auch das Gefühl der Stärke entwickeln. Und das wäre für mich das größte Ziel, wenn jeder Komponist hier in fünf Tagen von dem Festival nach Hause fährt und das Gefühl hat, dass das was er tut, was Entscheidendes ist.

Auch in seiner nunmehr dritten Ausgabe bot das 5-tägige Symposium in der vergangenen Woche ausgiebig Raum für Vorträge und Konzerte, an denen sich rund 20 Hochschulen beteiligten. Neben den deutschen Institutionen waren die Schweiz, Österreich, England, Holland und Kanada vertreten und ermöglichten einen Vergleich internationaler Ausbildungsstrukturen. Die Unterschiede sind bemerkenswert: So punkten zum Beispiel die von der Hochschule der Künste in Bern vorgestellten Werke zum wiederholten Male durch eine klare Aufgabenstellung und deren unmittelbarer, einfacher Umsetzung. So bewegen sich Lilian Beidler und Cyrill Lim in ihrem Stück „I skype you skype me“ von den Bühnenrändern langsam aufeinander zu. Dabei halten sie zwei Laptops vor sich, die über die Internettelefonsoftware Skype miteinander kommunizieren. Nach und nach stellen sich Rückkopplungsklänge ein, die sie durch leichtes Drehen der Computer kontrollieren können. Die Paradoxie des Stückes: Trotz der Datenverbindung über das Internet entsteht Klang erst durch die räumliche Nähe.

2. Musikbeispiel: Lilian Beidler und Cyrill Lim: I skype you skype me

Auch in England geht man eigene Wege: Traditionell findet dort die elektronische Musik weniger an Musikhochschulen statt, sondern ist zusammen mit Musik- und Medienwissenschaft an den Universitäten verankert. Dies führt zu barrierefreien Ansätzen nicht nur zwischen den verschiedenen Sparten der Musik, sondern zwischen den Künsten und Wissenschaften allgemein.

3. (O-Ton Lüneburg) Ich mache ein PhD an der Brunell-University in London und mein Thema ist eine Forschungsarbeit über die neue kreative Rolle eines Performers in der Neuen Musik als Vermittler zwischen Instrument, Komponist und Publikum im Grunde genommen.

Die Geigerin Barbara Lüneburg stellt sich in ihrer Arbeit veränderten künstlerischen Produktionsweisen, die zunehmend auch auf die Neue Musik Einfluss nehmen und sich vom Genie-Begriff verabschiedet haben.

4. (O-Ton Lüneburg) Was sich geändert hat, ist glaube ich, dass ich als Interpretin da überhaupt mal einen Blick drauf werfe. Denn das ist nicht selbstverständlich. Das machen die wenigsten Interpreten überhaupt, dass sie sich theoretisch über ihre Arbeit Gedanken machen. Und Kreativität ist noch ganz stark bestimmt von Mythen. Wir haben so eine Fixierung darauf, dass ein kreatives Werk von einer Einzelperson geschaffen wird. Und mit einer individuellen Inspiration. Die Kreativitätsforschung heutzutage, die zeigt auf, dass Kreativität eben in sichtbaren und unsichtbaren Netzwerken entsteht. Manchmal kann man das ganz genau verfolgen, manchmal weiß man ganz genau, hier haben drei Leute zusammen gearbeitet, manchmal entstehen diese Netzwerke einfach über Gespräche und Diskussionen, wo man sich austauscht und dann fließt etwas ein in ein neues künstlerisches Werk. Und das war vorher nicht sichtbar. Und meine Aufgabe sehe ich jetzt darin, diese Möglichkeiten überhaupt sichtbar zu machen. Und die auch für andere Interpreten aufzuzeigen.

5. Musikbeispiel: Alexander Schubert: Weapon of Choice

Als praktisches Beispiel einer solchen Zusammenarbeit präsentierte Barbara Lüneburg ein Werk des an der Hamburger Musikhochschule studierenden Alexander Schubert. Der Geigenbogen ist die „Weapon of Choice“ – so der Titel des Stücks für Geige, Sensor, Live-Elektronik und -Video. Aufgerüstet mit dem Bewegungssensor einer Wii-Spielekonsole regt der Bogen bei dieser multimedialen Performance nicht nur den Klang der Saiten an, sondern steuert gleichzeitig auch die Live-Elektronik

Die Bandbreite der in den Konzerten aufgeführten Stücke war immens und reichte von akusmatischen Kompositionen, Instrumentalstücken mit Live-Elektronik und Hörspielen hin zu Electronica, Klanginstallationen und kombinierter Bild-Musik. Die abschließende Bilanz von Michael Harenberg, Leiter des Studiengangs „Musik und Medienkunst“ in Bern:

6. (O-Ton Harenberg) Resümee. Toll! Sehr, sehr schön. Das wichtigste sind die Konzerte, weil man in den Konzerten ganz schnell sinnlich erfährt, was in den Studios jeweils stattfindet und wo die ästhetisch stehen und was die machen, was die interessiert und was die eben nicht interessiert. Was fehlt, ein großes Manko ist: es gibt keine organisierte Begegnung für die Studierenden, die werden hier unheimlich alleine gelassen damit. Es gibt keine Besprechungen der Stücke, es gibt keine Analyse der Stücke. Man muss sich trauen, die Autoren selbst anzusprechen und zu fragen, was hast Du da eigentlich gemacht. Und ich wünschte mir so einen Marktplatz, wo das so ein bisschen institutionalisierter ist, dass auch wenn junge Studenten von mir alleine hierher kommen, die irgendwie sic sich in irgendwas einfinden können. Das fände ich toll.