Ensembles für Neue Musik

zwischen Avantgarde und Marketing

von Michael Iber, für POSITIONEN Heft 26, 1996

In der zeitgenössischen Musik haben sich einige Ensembles zu regelrechten "Institutionen" entwickelt, die aus dem Musikbetrieb nicht mehr wegzudenken sind. Sie dominieren auf den großen Festivals und sind ein Beispiel dafür, daß sich die Neue Musik etabliert hat. Noch niemals ist so ambitioniert und "erfolgreich" zeitgenössische Musik aufgeführt worden wie in den letzten Jahren. Um so überraschender erscheint dies, wenn man den Rückgang der staatlichen kulturellen Förderungen berücksichtigt. Vor allem im hochsubventionierten Nachkriegsdeutschland waren kommerzielle Gesichtspunkte in der Kunst verpönt. Kunst sollte unabhängig, frei von finanzpolitischen Aspekten sein. Das professionelle Management der großen Ensembles läßt jedoch, da es sich um kostenintensive Einrichtungen handelt - man denke allein an Reisekosten, Gagen der Gastdirigenten etc. -, eine Arbeit jenseits wirtschaftlicher Effektivität gar nicht zu. Im folgendenden soll nun anhand ausgewählter Ensembles - es sind dies: die London Sinfonietta, das Ensemble 13 (Karlsruhe), das Ensemble InterContemporain (Paris), das Ensemble Modern (Frankfurt), das Ensemble Köln, das ensemble recherche (Freiburg), das Klangforum(Wien), das Kammerensemble Neue Musik Berlin und die Musikfabrik Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) - die Frage untersucht werden, was für ein Zusammenhang zwischen dem künstlerischem Engagement und der kommerziellen Präsentation der einzelnen Gruppen besteht. Trotz unterschiedlichster Entstehungsvoraussetzungen und Budgets müssen sich alle diese Institutionen am Markt orientieren, um überlebensfähig zu bleiben. Dabei zeigt sich, daß nicht die Großen die Kleinen fressen, sondern, daß ganz im Gegenteil die marktbeherrschenden Ensembles ein Bedürfnis schaffen oder geschaffen haben, das auch regionalen Gruppen - auf die hier im übrigen nicht weiter eingegangen werden soll - zu einer Existenz verhilft.

Im allgemeinen versteht man unter einem Ensemble eine kammermusikalische Gruppe verschiedenster Zusammensetzung. Ausgehend von diesem besetzungstechnischen Hintergrund hat sich in der Neuen Musik die Institution "Ensemble" gebildet, eine äußerst flexible Organisationsform für alle instrumentalen Kombinationen vom Solostück bis hin zu Besetzungen von ca. 30 Musikern. Zur Institution wurde das Ensembe deswegen, weil es unabhängig vom traditionellen Konzert "das" Aufführungsmedium zeitgenössischer Musik ist. Die Abtrennung der zeitgenössischen Musik vom herkömmlichen Repertoirebetrieb vollzog Arnold Schönberg in Wien, der damit auch der ideelle Vater des Ensembles fü Neue Musik ist:

Da das Wiener Publikum in seiner überwiegenden Mehrheit gegen die neuartige Musik eingestellt war und blieb, und die Entfaltung dieser Neuartigkeit nach Schönbergs Vorstellung seitens der Öffentlichkeit nicht gefördert, sondern nur "gestört" wurde, kam Schönberg Ende 1918 auf den Gedanken, einen "Verein für musikalische Privataufführungen" zu gründen. Bei den wöchentlichen Konzerten dieses Vereins hatten nur dessen Mitglieder Zutritt und war jede Bekundung von Beifall oder Mißfallen untersagt. Ziel des Vereins, der bis 1922 bestand, war es, Werke der zeitgenössischen Musik aller charakteristischen Strömungen sorgfältigst und analytisch reflektiert einzuüben und durch den Zugang der Vereinsmitglieder auch zu den Probearbeiten und durch die konzerthafte Darbietung der einstudierten Werke vor einem für das Neue aufgeschlossenen Kreis das Verständnis der modernen Musik zu fördern.

Zur Professionalisierung dieser Idee sollte es aber erst in den späten sechziger Jahren kommen. Zunächst setzten sich Musiker, die sich aus reiner Liebe zur Sache für die Avantgarde engagierten und ihr Geld anderweitig zu verdienen hatten, für ein Konzert mit wenigen Proben zusammen, um die oftmals mit großen spieltechnischen und interpretatorischen Problemen gespickten Werke aufzuführen. Daß dies der Qualität der Darbietungen abträglich war - und ist, denn leider gehört dieser Zustand längst nicht der Vergangenheit an -, liegt auf der Hand. Warum sollte auch der für die traditionelle Musik so notwendige "Reifungsprozeß" eines Stückes im Repertoire eines Interpreten für moderne Kompositionen nicht erforderlich sein?

Nach dem Krieg setzte in Deutschland eine grundsätzliche Veränderung der Neue-Musik-Szene ein: Zeitgenössische Musik wurde subventioniert. Die staatlichen Rundfunkanstalten erfüllten ihren Bildungsauftrag und es entstanden die großen Schauplätze Neuer Musik wie Darmstadt, das WDR-Studio oder das Siemensstudio. Die Donaueschinger Musiktage wurden wieder ins Leben gerufen, und man diskutierte und stritt über Musik wie nie zuvor. Wahrscheinlich war Musik zu keiner Zeit unabhängiger von kommerziellen Gesichtspunkten als in diesen Jahren. Interpreten konnten sich jetzt auf die Aufführung zeitgenössischer Kompositionen spezialisieren und manche Komponisten suchten ihre "eigenen" Interpreten, die ihre Werke dann immer wieder spielten. So war z.B. lange Zeit David Tudor "der" Cage-Spieler, und Karlheinz Stockhausen fand in seinem nahen Umfeld geeignete Interpreten seiner Stücke. Eng mit der Entwicklung Wolfgang Rihms sind das Karlsruher Ensemble 13 und der Pianist Bernhard Wambach verknüpft.

Inzwischen hat sich eines grundlegend geändert: Die Neue Musik selbst hat inzwischen ein "Repertoire", das heißt, daß wie im traditionellen Musikbetrieb Werke immer wieder und von verschiedenen Künstlern aufgeführt werden. In den Repertoirelisten des Ensemble InterContemporain, des Ensemble Modern, des Klangforums und des ensemble recherchefinden sich dann auch zahlreiche Übereinstimmungen.

Das "dienstälteste" Ensemble für Neue Musik, die London Sinfonietta entstand - erstaunlicherweise - 1968 in England. Erstaunlich deswegen, weil die bedeutenden Schauplätze zeitgenössischer Musik, die Festivals und Studios, sich auf dem europäischen Festland befanden und die britische Insel sich dazu doch recht beobachtend verhielt. Der Stamm der festen Mitglieder wurde Mitte der 70er Jahre auf 14 gekürzt, und nur für spezielle Projekte werden weitere Musiker engagiert. Angeschlossen das Instrumentalensemble ist der London SinfoniettaChorus, was einmalig ist unter den Ensembles für Neue Musik.

Das Repertoire der London Sinfonietta ist auch heute noch etwas risikoscheuer als das der nachfolgend gegründeten Gruppen, obwohl die anfänglich ehrgeizig gestalteten Mischprogramme, in denen neben Kompositionen von beispielsweise Henze und Xenakis auch Werke von Richard Strauß, Dvorák, Rossini und Wagner aufgeführt wurden, zugunsten eines Repertoires ausschließlich aus Werken diesen Jahrhunderts aufgegeben wurden. "Träger" der Programme sind die schon etablierten Namen, angefangen bei Schönberg, Webern, Stravinsky und Weill bis hin zu Stockhausen, Lutoslawkski, Takemitsu, Berio und Schnittke. Das Engagement für jüngere, unbekannte britische Komponisten ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, und man verläßt sich auf so bekannte "Stars" der Londoner Musikszene wie Harrison Birtwistle und George Benjamin. Der höflich englischen Zurückhaltung dem Experimentellen gegenüber entspricht das beispielhafte hochprofessionelle Management mit einer gut funktionierenden Public-Relations-Arbeit, die - und da ist die Insel dem Kontinent wohl um einiges voraus - schon früh (1989) Sponsorengelder aus der Industrie gewinnen konnte. Bedenklich ist allerdings, daß die London Sinfonietta 1994 überhaupt keine und 1995 Auftragswerke in einer Höhe von gerade einmal 1.000 Pfund Sterling vergeben hat - und das bei einem Budget von mehr als 1 Million Pfund. Dafür war die CD-Einspielung des Ensembles mit Goreckis 3. Sinfonie in den Charts. Diese - einmal abgesehen vom kommerziellen Gesichtspunkt - Zugeständnisse an das Publikum haben jedoch auch eine erfreuliche Nebenwirkung: Mit einem umfangreichen "Education Progamme" (lediglich das Ensemble InterContemporain verfügt über ein ähnliches Programm) bringt die London Sinfoniettavor allem jungen Musikern zeitgenössische Musik näher - und entspricht darin nicht zuletzt den Idealen des Schönberg-Vereins.

Ein Unikum unter den Ensembles für zeitgenössische Musik ist das 1973 von Manfred Reichert in Baden-Baden gegründete Ensemble 13. Von 13 Gründungsmitgliedern - daher der Name -, allesamt Streicher des SWF-Sinfonieorchesters, entwickelte es sich zu einem Pool von 30 Instrumentalsolisten, die hauptberuflich allerdings immer noch anderen Musikinstitutionen verpflichtet sind. Die Gruppe finanziert sich selbst und betreibt eine eigene Platten- bzw. CD-Produktion (seit 1981 und vielfach ausgezeichnet). Bis heute beibehalten wurde das Konzept, bei einem weitgefächerten Repertoire, den Schwerpunkt in der zeitgenössische Musik zu verankern. Seit 1980 veranstaltet das Ensemble 13 jährlich in Karlsruhe die "Wintermusik", in der jeweils ein Komponist portraitiert wird und seit 1983 die "Musik auf dem 49°", die thematisch konzipert ist. Ursprünglich auch mit dem Aufbau des Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie beauftragt, hatte Manfred Reichert - mit dem das Ensemble "steht und fällt" und der 1995 für sein Webern-Projekt mit dem Prix Italia ausgezeichnet wurde - schon früh die Notwendigkeit ansprechender, auch optisch attraktiver Konzeptionen erkannt. In den beiden Festivals des Ensembles - die allerdings von der Stadt Karlsruhe und dem Land Baden-Württemberg mit insgesamt 300.000 DM unterstützt werden - verwob er Bereiche wie Film und Jazz, Musiktheater und Computermusik und erkannte damit früh die Notwendigkeit neuer Aufführungsperspektiven, wie sie jetzt zum Beispiel auch das Kammerensemble Neue Musik Berlin sucht.

Mit einem jährlichen Budget von 30 Millionen französischen Francs ist das 1977 von Pierre Boulez ins Leben gerufene Pariser Ensemble InterContemporain das mit Abstand größte aller Ensembles für zeitgenössische Musik. Vorläufer war das Domaine-musical-Projekt von Boulez in den 50er Jahren, das wohl als Ursprung einer konzeptionellen Programmgestaltung bezeichnet werden kann. War die Ästhetik der Programmgestaltung des Ensemble Intercontemporain in den Anfangsjahren noch eng an seinen Initiator gebunden und stand auch der spätere künstlerische Leiter Peter Eötvös dieser nahe, so versucht man heute, eine ästhetisch von Boulez unabhängige Programmpolitik zu betreiben. Um dies zu verwirklichen beruft man einmal im Jahr eine "Commision de Lecture", ein Gremium unabhängiger Fachleute ein, das über - im letzten Jahr waren es 275 - eingereichte Bewerbungen für Kompositionaufträge entscheidet. Zusätzlich werden verschiedenen Programmkonzeptionen entsprechende Aufträge vergeben, 1996 beispielsweise für das 20-jährige Jubiläum im nächsten Jahr an Donatoni, Ferneyhough und Berio. Anders als die Kollegen in London zeigt sich das Ensemble InterContemporain wesentlich engagierter bei der Förderung junger, unbekannter Künstler - und das bei ungefähr entsprechenden Subventionsanteilen.

Die Gründung des Ensemble Modern, 1980 aus den Beständen der Jungen Deutschen Philharmonie gebildet, löste in Deutschland einen regelrechten Gründungsboom zeitgenössischer Musikensembles aus. Dabei war es beim besten Willen keine "leichte Geburt". Nach einer anfänglichen Subventionierung von 50% (bei einem Budget von 1 Million DM) liegen die Unterstützungsanteile inzwischen bei einem Fünftel des auf 6 Millionen DM angewachsenen Etats, und das Ensemble darf sich glücklich schätzen, einen Proberaum von der Stadt Frankfurt zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Mit großen persönlichen Opfern (in der Anfangsphase wurden lediglich anfallende Spesen ersetzt) setzten sich die Gründungsmitglieder für die Entstehung dieses Ensembles ein. Seit 1987 ist das Ensemble eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der die einzelnen Musiker selbst (und der Geschäftsführer) Gesellschafter, also voll entscheidungsberechtigt sind. Ähnlich starke Mitsprache, zumindest hinsichtlich der Programmgestaltung, gestattet sonst lediglich das Klangforum Wien seinen Mitspielern. Nach einer dreijährigen Phase des "Kennenlernens und Erarbeitens Neuer Musik" (Dietmar Wiesner) war die mehrfache Aufführung des Gesamtwerkes Anton Weberns im Jahre 1983 das erste Großprojekt des Ensembles. Die Aufführung von Luigi Nonos Prometeo muß man zweifellos zu einem der großen wichtigen Projekte in der Neuen Musik der letzten 10 Jahre zählen. Aber auch wenn die Zusammenarbeit mit dem von Musikwissenschaftlern eher in den Bereich der U-Musik eingeordneten Musiker Frank Zappa 1992 als Experiment - mit einem großen finanziellen Risiko - zu bezeichnen ist, war die Aufmerksamkeit der Fachwelt und der Medien doch kalkulierbar. Und so drängt sich ein wenig der Eindruck auf, daß Projekte immer mehr nach dem Gesichtspunkt einer Erfolgsgarantie ausgewählt werden, und auch die Videorealisation von Edgar Varéses Desserts (1993-96 mit dem Videokünstler Bill Viola) liegt ganz auf dieser Linie.

Wie auch beim Ensemble 13 sind die Mitglieder des Ensemble Köln "hauptberuflich" anderweitig beschäftigt: als Dozenten, freischaffende Musiker oder Orchestermusiker. Es wurde 1980 von Robert HP Platz ins Leben gerufen und hatte seine große Zeit in den achtziger Jahren mit etwa 50 Konzerten im Jahr und einer eigenen Konzertreihe im Römisch-Germanischen-Museum in Köln, die 1988 eingestellt wurde. Das Ensemble vertritt noch ganz die puristische Aufführungs- und Programmästhetik der sechziger und siebziger Jahre. Die Programmhefte, obwohl hochinformativ, erinnern sehr an das bewußt dilettantische Erscheinungsbild der Veröffentlichungen des FEEDBACK-Verlages. Das Management dieses Ensembles ist allenfalls semi-professionell und zeigt keinerlei kommerzielle Tendenzen. Dies mag auch mit ein Grund dafür sein, daß die Anzahl der Konzerte in den neunziger Jahren auf weniger als die Hälfte zurückging. Ursache dafür scheint außerdem die konzentrierte Förderung der wesentlich "gestylteren" Musikfabrik durch das Land Nordrhein-Westfalen zu sein, die auch in Köln eine Abonnementreihe veranstaltet. Vielleicht ist die Hespos-Uraufführung des Ensemble Kölnin Darmstadt im nächsten Jahr ein Ausgangspunkt für neue Konzeptionen: Zusammen mit dem Kölner Off-Theater Lorbeer Abscheu wird das Ensemble Pap, ein Stück für 4 Interpreten und Motorblöcke, die durch Kolbenfresser auf der Bühne zugrunde gerichtet werden, aufführen.

Mit der Gründung des Klangforum in Wien schloß sich 1985 eine österreichische Marklücke. Begonnen hatte man ganz klein: Damals noch als "Société de l'Art Acoustique" spielte das Klangforum vier Konzerte pro Jahr. Die bis dahin seit dem Krieg einzigen Bemühungen österreichische Neue Musik aufzuführen gingen von Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik und dem von ihnen 1958 initiierten Ensemble "die Reihe" aus. In den Anfangsjahren bis zu der Übernahme der Geschäftsführung durch den ehemaligen "Steirischen-Herbst-Macher" Peter Oswald war das Klangforum in organisatorischer wie interpretatorischer Hinsicht sehr an seinen Gründer, den Komponisten und Dirigenten Beat Furrer gebunden. Mit Oswald weht seit 1992 ein neuer Wind in der Programm- und Aufführungspolitik. Sein erklärtes Ziel war es, das Klangforum zu einem Ensemble vergleichbar dem Ensemble Modern oder dem Ensemble InterContemporain zu machen, und es ist beeindruckend, wie Oswald den fast achtzigprozentigen Subventionsanteil auf 25 Prozent zu senken vermochte( und dabei das Gesamtbudget auf das siebenfache erhöhte). So hat sich das Klangforum in den vergangenen 3 Jahren zu einem der führenden Repertoireensembles zeitgenössischer Musik mit ca. 65 Konzerten pro Jahr entwickelt. Ein spezielles Statut sichert den Spielern, die fast alle mit Festverträgen an das Ensemble gebunden sind, Kontinuität in der Arbeit und eine finanzielle Basis, wodurch die Fluktuation innerhalb des Ensembles extrem gering gehalten wird. Über die Vergabe von Aufträgen entscheiden Musiker, Management und der jeweilige Veranstalter gemeinsam: eine demokratische Grundhaltung nicht unähnlich der des Ensemble Modern. Das aggressive Marketing des Managements hat allerdings durch eine übertriebenen Selbstdarstellung des Ensembles auch seine Schattenseite. So fehlt der Broschüre zum diesjährigen 10-jährigen Jubiläum die betrachtende Distanz, was bei so viel offensichtlichem künstlerischem Erfolg befremdlich anmutet. Eine entsprechende Publikation der London Sinfonietta ist wesentlich informativer und auch humorvoller gestaltet.

Im Umfeld der Freiburger Musikhochschule entstand 1984 das ensemble recherche. Aus der regionalen Komponisten-Szene heraus, die in Freiburg beim besten Willen nicht undankbar ist, entwickelte es (seit 1986) immer mehr ein internationales Repertoire. Mit 60 Konzerten im Jahr kann sich das Ensemble heute durchaus mit den großen "Institutionen" messen. Sein eigentliches Problem liegt in der organisatorischen und somit auch finanziellen Strukturierung. Durch eine Förderung von lediglich 8 Prozent (bei einem Budget von 800.000 DM), die zudem projektgebunden ist, können auch die Musiker nur für einzelne Konzerte bezahlt werden. Fällt dann, wie es gerade der Fall war, ein ursprünglich zugesagtes - in diesem speziellen Fall 7-wöchiges - Projekt aus, entsteht eine Finanzkrise, der sofort an den Rand der Existenz führt. Durch diese stark von den Veranstaltern abhängige Finanzierung, haben die Musiker dann auch weniger Mitsprachemöglichkeiten bei der Auswahl des Repertoires als dies bei anderen Ensembles der Fall ist. Dies bedeutet aber nicht, daß sich das ensemble recherche nicht mehr für unbekannte junge Komponisten einsetzt als z.B. - vor allem in den letzten Jahren - das Ensemble Modern. Zudem versucht das ensemble recherche durch die Beschäftigung mit musiktheatralischen Werken (z.B. von Dieter Schnebel, Daniel Ott und Cornelius Schwehr) ein größeres Feld zeitgenössischer Musik zu erschließen, nachdem es sich für lange Zeit auf die strikte Konzertform beschränkt hatte. So bleibt zu hoffen, daß das Ensemble das frische, etwas "studentisches" Flair, das ja eigentlich der ganzen Stadt Freiburg anhaftet, nicht verlieren wird, um sich an dem kommerzielleren Markt zu orientieren. Auf jeden Fall erscheint es nahezu skandalös, daß sich das Land Baden-Württemberg, es ist immerhin eines der reichsten, überhaupt nicht um eine kontinuierliche Unterstützung dieser sich auch international sehr engagierenden Gruppe bemüht, und selbst die Stadt Freiburg sich nicht in der Lage sieht, einen kostenlosen Proberaum zur Verfügung zu stellen.

Obwohl schon 1987 von Thomas Bruns gegründet, erregte das Kammerensemble Neue Musik Berlin erst in neuester Zeit größere öffentliche Aufmerksamkeit. Mit ca. 30 jährlichen Auftritten, darunter auch Opernproduktionen, hat sich das aus 9 Instrumentalisten bestehende Ensemble unter der musikalischen Leitung Roland Kluttigs zunehmend professionalisiert. Mitauslöser dieses Aufstiegs ist die Unterstützung durch die Edition Wandelweiser, einem jungen Berliner Verlag, der beispielsweise dem Kammerensemble Neue Musik eine Hilfskraft für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt hat. Ein wesentlicher Schritt hin zu einer Professionalisierung der Gruppe. Die der Edition angeschlossene CD-Produktion (mit Vertrieb über den Verlag) erstellt kostengünstige Mitschnitte der Konzerte des Ensembles, ohne daß es jedoch exklusive Bindungen gäbe.

Das Ensemble bemüht sich sehr um konzeptionelle Programmgestaltungen, die sich bewußt auch mit der Wahrnehmung des Konzertbesuchers auseinandersetzen. Der Begriff "Konzert" steht spätestens seit John Cages "Konzertverweigerung" zur Diskussion, und es ist im Grunde überraschend, daß sich an der äußeren Form des Konzertes bis heute nichts Wesentliches geändert hat, weder in der zeitgenössischen noch in der traditionellen Musik. Die ständige Präsenz der elektronischen Medien und nicht zuletzt die Präsentationsformen der Popkultur haben jedoch die Erwartungshaltung auch im Hinblick auf die Künste vor allem bei der jüngeren Generation grundlegend beeinflußt. Mit intermedialen Projekten, wie z.B. das gerade in Berlin aufgeführte Nocturne Final III (Musik, Objekte, bewegte Bilder),in dem verschiedene gleichzeitig stattfindende Ereignisse - eines davon ist For Samuel Beckett von Morton Feldman - auf die Wahrnehmung des Hörers einwirken sollen, bricht das Ensemble die erstarrte Form des Konzertes auf. Die Projekte dieses Ensembles werden dementsprechend auch u.a. von der Siemens Stiftung, dem Förderkreis der deutschen Wirtschaft und der Stiftung Kulturfonds gefördert. Diese Suche nach neuen Präsentationsformen birgt aber auch Gefahren in sich, so wirkt etwa das Motto der Konzertreihe des Kammerensembles im Berliner Konzerthaus manieriert: "FORMELN" - so der Name der Serie dieser Saison - benutzt verschiedene Liedform-Schemata (wie z.B. AA'B) um darauf ein Programm zu bauen, indem ein Stück dann z.B auch mehrmals an einem Abend aufgeführt wird, was sicherlich interessante Gegenüberstellungen mit sich bringen kann. Die Sache ist nur so frei und willkürlich gehandhabt, daß die Formeln auf an sich konsequent gestaltete Stückabfolgen, wie man sie allerdings auch bei den anderen Ensembles findet, aufgesetzt wirken.

Eine einmalige Entstehungsgeschichte weist die 1991 gegründete Musikfabrik Nordrhein-Westfalen auf. Einmalig, weil ohne jegliches vorheriges Engagement das Land Nordrhein-Westfalen einen Etat zur Verfügung stellte, der prozentual zum Gesamtbudget mehr als dreimal höher ist als der des Ensembles Modern (1995). Zusätzlich erhält die Musikfabrik Unterstützung durch die Stadt Düsseldorf. Ein (künstlerischer) Vorstand, bestehend aus dem Pianisten Bernhard Wambach, dem Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke und den Komponisten Nicolaus A. Huber und Gerhard Stäbler, bestimmt die ästhetische musikalische Linie des Ensembles. Die konkreten Programme werden dann gemeinsam mit dem (Gast-) Dirigenten und den Musikern abgesprochen. Mit Ausnahme der vergebenen Aufträge ist die Programmpolitik des Ensembles eher konservativ und erfolgsorientiert. So dominiert in dieser Saison ein reines Kagel-Programm (mit dem Komponisten als Dirigenten) den Programmkalender, umgeben von so etablierten Namen wie Rihm, Globokar, Lachenmann, Schenker, Birtwistle usw. Im Verhältnis dazu nimmt sich das Engagement für junge, unbekannte Komponisten sehr gering aus.

Im Verlauf dieser Ausführungen hat sich gezeigt, daß sich bei den meisten Ensembles eine Tendenz hin zum Repertoire abzeichnet, und Uraufführungen von unbekannten Künstlern einen immer kleiner werdenden Anteil einnehmen. Dies hat eine positive und eine negative Seite: Die Institution "Ensemble" unterliegt den Gesetzen der Marktwirtschaft und entspricht darin dem traditionellen Konzertbetrieb, mit dem sie sich auch die Aufführungsstätten teilt. Durch das Spielen von Repertoirestücken ist wie in der "klassischen Musik" die Frage nach der Interpretation, die Frage also, was die Aufführung desselben Stückes durch das Ensemble X und das Ensemle Y unterscheidet, in den Vordergrund gerückt. Dieser Aspekt ist für das einzelne Stück, das auf diese Weise vielfach beleuchtet wird, den Musiker, der durch die sich über Jahre erstreckende Arbeit an einem Stück eine lebendige Beziehung zu diesem erlangt, und den Zuhörer, der durch mehrfaches Hören einen Überblick über eine Komposition gewinnt, gleichermaßen von Bedeutung.

Der Nebeneffekt dieser Entwicklung hin zu einem Repertoirebetrieb ist allerdings bedenklich: Die Strukturen, die die Ensembles für Neue Musik heute haben, sind recht festgelegt. Dies hat zur Folge, daß Komponisten bereits in ihren Auftragswerken "Repertoire" schreiben, Stücke also, die den Gegebenheiten Rechnung tragen, anstatt Neues, Ungehörtes zu erkunden. Auch werden immer mehr Werke zur Aufführung gebracht, die bereits "ihr" Publikum haben. Wie in der traditionellen Musik werden so visionäre Komponisten nicht zum Zuge kommen oder vergessen werden, man denke beispielsweise an Gustav Mahler, dessen Bedeutung erst in der zweiten Hälfte diesen Jahrhunderts in der breiteren Öffentllichkeit erkannt wurde.

Somit haben die Ensembles für Neue Musik "ihren" Markt gefunden, den sie mit mehr oder weniger originellen Konzepten bestreiten, und der Begriff "Neue Musik" wird dadurch zu Geschichte. Durch Klanginstallationen und Multimedia sind die Grenzen in der zeitgenössischen Musik aufgeweicht. Die starre Konzertform wurde aufgebrochen, es wurden neue Räume (reale und virtuelle) erkundet. So stellt sich die Frage, ob die Ensembles versuchen, sich an diese Entwicklung anzuschließen, oder ob sie sich darauf beschränken, ihre jeweilige Position im aktuellen Musikgeschehen weiter auszubauen.